: Ein Diplomat als Vizepapst
Eine Überraschung Gottes in meinem Leben“ – so sieht Pietro Parolin seine Berufung zum Staatssekretär des Vatikan, sprich zur Nummer zwei der Kurie, gleich hinter Papst Franziskus. „Unverdientes Vertrauen des Heiligen Vaters“ sei ihm da zuteil geworden, schob Parolin noch nach, doch zumindest in Italien wird der Neue mit reichlich Vorschusslorbeeren bedacht.
Parolin, seit 2009 päpstlicher Nuntius in Venezuela, darf in der Tat als direktes Gegenbild seines Vorgängers, des Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone, gelten. Bertone, seit den gemeinsamen Jahren in der Glaubenskongregation enger Vertrauter Ratzingers, hatte seit 2006 gleichsam als „Vizepapst“ amtiert. Das Gros der Kurie hatte er dabei gegen sich gehabt – auch weil er kein Diplomat war, weil er nicht aus dem Apparat des Staatssekretariats stammte.
Mit Parolin dagegen kehrt der Papst zu alten Traditionen zurück. Der aus dem Veneto stammende neue Staatssekretär weist die „klassische“ Karriere auf: Mit 14 Eintritt ins Seminar, nach der Priesterweihe zwei Jahre als Landpfarrer tätig, dann Studium des Kirchenrechts in Rom an der Gregoriana, 1986 Eintritt in den diplomatischen Dienst des Vatikans, Nuntius erst in Nigeria, dann in Mexiko, seit 1992 im Staatssekretariat in Rom, dort in den Jahren 2002–2009 für die Beziehungen zu den Staaten zuständig.
Er sei keiner, der das Rampenlicht suche, heißt es von ihm, keiner, der sich an den Kämpfen der Seilschaften im Vatikan beteiligt habe. Stattdessen eilt ihm der Ruf voraus, von Asien über den Nahen Osten zu Lateinamerika und Afrika Bescheid zu wissen und Konflikte geräuschlos und diskret anzugehen.
Erst 58 Jahre alt ist Parolin, so jung wie keiner seiner Vorgänger seit dem Zweiten Weltkrieg – und bisher hat er nicht einmal die Kardinalswürde: ein weiteres Zeichen, dass Franziskus einen Sekretär im Amt wollte, keinen Vizepapst wie Bertone. Einen Sekretär zudem, der die Kirche aus den Niederungen der italienischen Politik – unter Bertone war sie stets stramm Berlusconi-treu – ebenso wie aus den Verstrickungen aller über die Vatikanbank IOR abgewickelten undurchsichtigen Geschäfte herausführen soll. MICHAEL BRAUN