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Archiv-Artikel

„Erstmals bestimmen wir selbst“

SÜDSUDAN Bei Sudans Wahlen geht es auch um die Bilanz der SPLA-Autonomieregierung im Süden des Landes. SPLA-Bildungsminister Job Dhoruai Malou ist stolz auf das Erreichte

Job Dhoruai Malu

■ 69, ist seit 2007 Minister für Bildung, Wissenschaft und Technologie in der Autonomieregierung der ehemaligen SPLA-Rebellen im Südsudan.

INTERVIEW LUTZ MÜKKE, JUBA

taz: Herr Malou, seit fünf Jahren regiert die ehemalige Rebellenarmee SPLA den Südsudan. Was haben Sie in dieser Zeit im Bildungssektor erreicht?

Job Dhoruai Malou: Sehr viel – und nichts. 21 Jahre Krieg haben deutliche Spuren hinterlassen. In den „befreiten Gebieten“, die bereits vor dem Friedensvertrag von 2005 unter SPLA-Kontrolle waren, gab es ein nur sehr rudimentäres Schulsystem. Ich war mitverantwortlich, als wir dieses System in den 1990ern etablierten. Die Lehrer konnten lediglich Basiswissen vermitteln. Denn wir konnten sie nur drei Monate ausbilden. Der Unterricht fand in Lehmhütten oder unter Bäumen statt. Tausende Lehrer arbeiteten freiwillig und oft ohne Bezahlung im Busch.

Und heute?

Die Leute im Südsudan hungern nach Bildung. Wir haben ihnen wieder ins Bewusstsein gebracht, wie wichtig Bildung für sie ist. Nicht nur für Kinder! Auch für Frauen und Männer.

Ihre Regierung hat große Erwartungen geschürt, bislang aber wenig eingelöst. Besonders auf dem Lande sind viele frustriert.

Ich sagte ja, wir haben viel erreicht und nichts. Ein Beispiel: In manchen Gebieten des Südsudan wurde jahrzehntelang nicht unterrichtet. 2007 starteten wir die Initiative „Go to school!“ Wir haben den Eltern erklärt, dass Kinder in die Schule gehören. Der Erfolg der Kampagne war durchschlagend, brachte jedoch zwei große Probleme mit sich. Erstens konnten wir die vielen Kinder gar nicht unterbringen. Und zweitens haben wir nach wie vor nicht genug Lehrer.

Über wie viele Kinder reden wir?

In den letzten beiden Jahren stieg allein die Zahl der Grundschüler von einer auf 1,8 Millionen. Nach wie vor müssen wir deshalb viel improvisieren. Wir versuchen wo immer möglich die Kinder in den Schulen zu halten – und wenn wir unter Bäumen sitzen. Mein Ministerium zahlt derzeit fast alle Gehälter der 26.000 Lehrer im Südsudan.

„Die Kinder in den Schulen halten – und wenn wir unter Bäumen sitzen“

Wie hoch ist denn das Jahresbudget Ihres Ministeriums?

323 Millionen sudanesische Pfund (rund 100 Million Euro). Damit gehören wir zu den sechs wichtigsten Ministerien im Südsudan.

Wie ist es um die Lehrpläne bestellt?

Erstmals können wir selbst bestimmen, was unsere Kinder lernen. Das ist auch eine Frage von Identität. Jetzt lehren wir zum Beispiel unsere eigene Geschichte, die Geschichte der Völker des Südsudans. Früher haben das entweder die Briten oder die islamischen Nordsudanesen über unsere Köpfe hinweg entschieden. Gleiches gilt für die Sprache. Jahrzehntelang waren die Unterrichtssprachen Arabisch und Englisch – sehr nützliche Verkehrssprachen, im Grunde aber kolonial. Das Regime in Khartum hatte die indigenen Sprachen aus den Schulen Südsudans verbannt.

In welcher Sprache wird jetzt unterrichtet?

In vielen. Im Südsudan gibt es 53 Sprachen. Davon haben 23 ein Alphabet. Wir sind davon abgerückt, von der ersten Klasse an in Englisch zu unterrichten. Die Kinder beginnen mit ihrer eigenen Sprache, und erst ab der vierten Klasse setzt Englisch ein.

Wahlboykott ausgeweitet

■  Die Wahlen im Sudan am kommenden Wochenende werden immer fraglicher. Nach heftigem Streit beschloss die in Südsudan regierende ehemalige Guerillabewegung SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) am Dienstag, ihren letzte Woche beschlossenen Boykott der gesamtsudanesischen Präsidentschaftswahl auch auf die Parlamentswahl in Sudans Nordhälfte auszuweiten. ■  Sudans Wahlkommission bekräftigte, die Wahlen fänden wie geplant statt. Die Wahlzettel sind längst gedruckt. Die zivilgesellschaftliche Koalition „Sudan Democracy First Group“ rief derweil alle internationalen Wahlbeobachter dazu auf, wieder abzureisen, da ihre Beteiligung „nur dazu dienen würde, einen fehlerhaften Wahlprozess zu legitimieren“. Der Staat habe die Beobachtermissionen „eingeschüchtert“. (d.j.)

Die Mehrheit der Bevölkerung des Südsudan lebt nomadisch oder halbnomadisch. Die Kinder ziehen den Jahreszeiten folgend mit den Rindern durch die Weidegründe. Wie wollen Sie die unterrichten?

Das ist relativ einfach. Wir bilden Lehrer aus, die mit den Nomaden mitziehen. Ähnlich wie Frauen sind auch Nomaden ein Bevölkerungsteil, dem jahrzehntelang kaum Bildung zukam. Deshalb ist dort der Wunsch besonders stark, endlich zu lernen.

Die Analphabetenrate des Südsudan liegt bei unglaublichen 85 Prozent.

Ich hoffe, dass wir die schnell reduzieren werden. Auch deshalb stützt sich unsere Politik auf die indigenen Sprachen. In ihrer eigenen Sprache lernen Kinder und Erwachsene viel schneller. Wir wollen die Analphabetenrate auf 20 Prozent drücken.