: Nicht alle hassen Hausaufgaben
STRESS Sigmar Gabriel will das Ende der Schularbeiten. Von Schülern gibt’s nicht nur Beifall
BERLIN taz | SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hat sich in einem Interview mit der Rhein-Zeitung dafür ausgesprochen, Hausaufgaben abzuschaffen.
Er möchte mit diesem Vorschlag mehr Bildungsgerechtigkeit herstellen. Akademiker könnten ihre Kinder dabei besser unterstützen als Eltern ohne akademische Bildung, sagte Gabriel. Er brachte den Vorschlag in Zusammenhang mit einem rechtlichen Anspruch aller Kinder auf einen Platz in einer Ganztagsschule. Kritik von der politischen Konkurrenz ließ nicht auf sich warten.
Aber zumindest die Schülerinnen und Schüler sollten sich freuen, oder? Nicht unbedingt.
Die Reaktionen von Schülern im Berliner Stadtteil Kreuzberg sind gemischt. Noah (10) ist Schüler der Reinhardswald-Grundschule. Er findet: „In der Schule arbeitet es sich besser als zuhause. Dort lese oder spiele ich viel lieber.“ Anders sieht das Ernad (15), Schüler der Ferdinand-Freiligrath-Schule. Er möchte seine Lernatmosphäre lieber selbst gestalten, etwa mit Musik oder auf dem Bett liegend.
Eltern und Schulpersonal sehen das eigentliche Problem allerdings woanders. „Wenn Hausaufgaben in der Schule erledigt werden sollen, muss das finanziell und räumlich abgedeckt sein“, findet Brigitte Hackenberg, Mutter des elfjährigen Ben. Ihrer Meinung nach bräuchten Schulen viel mehr Unterstützung. Stattdessen werde viel zu wenig in Bildung investiert und immer mehr gespart. So könne ein solches Konzept nicht umgesetzt werden.
Annegret Seifert, Künstlerin und Honorarkraft der Grundschule, hebt einen anderen Aspekt hervor. „Durch Hausaufgaben lernen Kinder, selbstständig zu arbeiten. Das müssen sie frühzeitig lernen“, findet sie. Deshalb ist sie dagegen, die Hausaufgaben vollständig in die Schulzeit zu verlagern. Viel wichtiger sei es, schwächere Schüler angemessen zu fördern. Mit mehr Lehrern und Sozialpädagogen könnten Schulen viel besser für Chancengleichheit sorgen. Dafür sei es wichtig, schwächeren Schülern eine angemessene Förderung zu bieten.
Ein akademischer Hintergrund muss nicht bedeuten, dass Eltern ihre Kinder bei den Hausaufgaben auch mehr unterstützen als andere. Das hat der siebzehnjährige Foat am eigenen Leib erfahren: „Meine Eltern fanden, die Hausaufgaben sind meine Sache.“
MORITZ LEHMANN, DINAH RIESE
Kommentar wahl.taz SEITE III