: Verloren in der SPD
Ute Vogt war die Hoffnung der SPD Baden-Württembergs. Sie ist abgestürzt. Nimmt sie den Weg, den die Parteigeschichte für glücklose Spitzenkandidatinnen vorgesehen hat?
VON GEORG LÖWISCH
Als die ersten Resultate verkündet wurden, blickte die Kandidatin erschöpft nach unten. Sie beugte den Kopf nach vorn und verbarg das Gesicht hinter der Hand. Die Fotografen drückten ab. Später sprach sie von guter Stimmung im Wahlkampf und sagte, dass die Partei gut gekämpft habe.
Sie war die Hoffnung der SPD geworden in dem Bundesland, das seit Jahrzehnten von der Union beherrscht wurde. Sie übernahm die Landespartei am Tiefpunkt. Die Genossen akzeptierten sie, die Journalisten schrieben sie hoch, vielleicht wurde sie auch ein wenig überschätzt. Bei der ersten Wahl wurde sie nicht Ministerpräsidentin, aber das Ergebnis war gut. Und allein dass die gebeutelte SPD überhaupt an eine Chance glaubte, war ein Wunder. Doch dann kam die zweite Wahl, und sie verlor Prozentpunkte. Die Rücktrittsfrage war eine der ersten. Es war der 13. September 1998, und die Kandidatin der bayerischen SPD hieß Renate Schmidt.
Die Frau mit der Rücktrittsfrage hieß am Sonntag Ute Vogt. In der SPD scheint sich die Geschichte manchmal zu ähneln. Wiederholt sie sich? Eine Endlosschleife, in der Frauen nur als couragierte Retterin geholt werden, wenn die Männer alles verbockt haben? Und in der die Männer dann doch wieder ranwollen?
Als Ute Vogt die SPD in Baden-Württemberg übernimmt, hat die Partei ein Wahldesaster hinter sich. Bei der Landtagswahl 1996 hat es ein historisches Tief von 25,1 Prozent gegeben. Die ehemalige Juso-Chefin aus Wiesloch bei Heidelberg will zeigen, dass die Partei nicht verknöchert ist. Sie strahlt alle an und verunsichert die Intrigen liebenden Funktionäre, indem sie sagt, was sie denkt. Im Bundestag wird sie Chefin des Innenausschusses. Eine junge, gut aussehende Frau, verantwortlich für die Sicherheit Deutschlands – die Medien steigen drauf ein.
Renate Schmidt drüben in Bayern ist die „Powerfrau“, und Ute Vogt wird die „Schwertgosch“. Sie mag die Partei ja auch. Die Jurastudenten in Heidelberg an der Uni sind langweilig gewesen. Bei den Jusos hat sie sich wohl gefühlt, gegen Nachrüstung und Atomkraft gekämpft. Als junge Spitzenpolitikerin wird sie sogar von Gerhard Schröder gefördert, der sie früher noch bespottet hat.
2001 tritt sie an. Gegen Erwin Teufel. Himmelsstürmerin gegen Landesopa, diese Geschichte ist noch besser, die Journalisten greifen zu. Im Wahlkampf tritt sie frech und unverstellt auf, die Leute finden sie sympathisch. Sie holt 33 Prozent, 8 Prozent plus, sie entscheidet sofort, es 2006 wieder zu versuchen.
Spätnachmittag, Stuttgart, Haus der Abgeordneten. Ute Vogt sitzt mit dem Präsidium der baden-württembergischen SPD zusammen. Die ersten Prognosen sind wie immer schon da. 25 Prozent oder schlechter. Es ist klar gewesen, dass sie verliert, in den letzten Wochen, aber ihre Sympathiewerte waren immer besser als die der Konkurrenz. 25 Prozent! Sie ist gefasst.
Wolfgang Drexler, der Chef der Landtagsfraktion, sitzt dabei. Er wollte 1999 auch Vorsitzender der Landespartei werden, und schon in den letzten Wochen haben die Medien dauernd über eine Rivalität zwischen ihm und Vogt berichtet. Aber Vogt ist nicht doof. Sie hat Drexler vorher zum Wahlkampfleiter gemacht, da ist es auch seine Niederlage. Außerdem weiß der 60 Jahre alte Oberamtsanwalt auch, dass er nicht gerade Aufbruchsstimmung erzeugt. So tritt er um 18 Uhr zuerst vor die Presse und sagt, dass er die Niederlage gemeinsam mit ihr tragen will.
Ute Vogt schwankt. Sie hat auf diese Wahl gesetzt. Seit Jahren. Sie hat sich als Staatssekretärin von Otto Schily disziplinieren lassen. Sie ist zwischen Pforzheim, Stuttgart und Berlin hin- und hergehetzt, hat Freunde verloren, weil sie keine Zeit für sie hatte, und irgendwann den Wunsch nach Kindern fallen gelassen. Sie ist jetzt 41. Wenn sie nicht mal Oppositionsführerin in Stuttgart wird, hat sie nichts. Aber manchmal ist nichts alles. Ein Neuanfang.
Montagmittag steht sie in Berlin im Willy-Brandt-Haus. Rechts neben Parteichef Platzeck grinst der pfälzische Lottogewinner Kurt Beck. Neben ihm hält sich Jens Bullerjahn aus Sachsen-Anhalt an seinem Blumenstrauß fest. Er hat schlechter abgeschnitten als Vogt, aber er darf Vizeministerpräsident werden. Platzeck verliert über Vogts Ergebnis kämpferische Worte. „Unverdrossen“, „mutig“, „wir brauchen dich“. Dann nimmt er sie in den Arm. Beck guckt skeptisch.
Ute Vogt hat den Wahlkampf auf sich zugeschnitten. Aber diesmal war der Gegenkandidat nur zehn Jahre älter als sie und sie war kein neues Gesicht mehr. Sie hat sich dann noch mal mit dem Hund von Freunden fotografieren lassen, aber Günther Oettinger hat einen eigenen Hund. Sie wollte Oettinger auf Augenhöhe begegnen und den Menschen offen. Das ist ihre Stärke. Sie spricht nicht in abgepackten Politikerzitaten. Aber die Offenheit ist auch ihre Schwäche.
Als Franz Müntefering vom SPD-Vorsitz zurücktrat, weil Andrea Nahles als Generalsekretärin nominiert wurde, gab sie im Fernsehen offen zu, sie habe für Nahles votiert, weil sie Münteferings Rücktritt nicht geahnt habe. Viele fanden sie naiv. Das war schon im Herbst, aber die Geschichte blieb seltsam lang hängen. Und als sie kurz vor der Wahl zwei Radioclowns fragten, ob sie je einen Orgasmus vorgespielt habe, ließ sie sich auf die Frage ein und sagte Ja. Nett, aber naiv. So ein Urteil ist in der Politik tödlich. Bei Frauen wird es häufiger gefällt.
Renate Schmidt haben die Männer in Bayerns SPD nicht sofort weggeschickt. Sie wurde 1998 als Fraktionschefin bestätigt, aber hinter vorgehaltener Hand raunten die Genossen, später mäkelten sie lauter. Irgendwann ging Schmidt. Sie kümmerte sich um sich. Später machte Schröder sie überraschend zur Familienministerin. Und genauso überraschend schossen er und Müntefering sie 2005 wieder ab.
Die SPD in Bayern hat eine männliche Doppelspitze übernommen. Bei der Landtagswahl 2003 holte sie ein Rekordergebnis: 19,6 Prozent.