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Archiv-Artikel

Hier wird wieder gewohnt

Vor der Hausbesetzung war der Abriss des Barmer Viertels beschlossene Sache. Jetzt fordern immer mehr Kölner den Erhalt der Wohnungen

AUS KÖLN DIRK ECKERT

Strom gibt es nur vom Generator. Wasser muss vom Hydranten geholt werden. Das Leben im besetzten Haus ist alles andere als bequem. Und doch sollen es inzwischen bis zu hundert Leute sein, die sich seit Anfang März in den verschiedenen Häusern des Barmer Viertels in Köln breit gemacht haben. Dass diese Altbauten abgerissen werden – nein, das wollen sie auf jeden Fall verhindern.

„Komm‘ mal mit, ich zeig‘ Dir meine Wohnung“, sagt ein Punk, der sich Alf nennt. Zwei Zimmer, Küche, Diele, Bad hat er sich gesichert. Schlafsack und Matratze, mehr hat er noch nicht. Auch keinen Strom. „Abends nehm‘ ich eine Kerze“, erzählt der 29-Jährige und zeigt dennoch zufrieden über den Innenhof. „Überall, wo Graffiti dran sind, wohnt jemand“, erklärt er.

Bis vor kurzem standen diese Häuser noch unter Denkmalschutz. Dann hat die Stadt das Grundstück gekauft, das genau zwischen der Messe und dem Deutzer Bahnhof liegt. Jetzt wird nach Investoren gesucht, die hier Büroräume hinbauen sollen. Nicht nur die Hausbesetzer fürchten, dass sich die Stadt völlig verkalkuliert und am Ende nur ein einziger großer Parkplatz übrig bleibt.

Die Hausbesetzer haben andere Pläne mit den Genossenschaftsbauten. Ein Soziokulturelles Zentrum soll her. In einem Eckhaus richtet die Sozialistische Selbsthilfe gerade einen Laden ein. Eröffnung ist diesen Samstag. Und die 381 Wohnungen sollen wieder bewohnt werden. Obwohl es dort nicht gerade wohnlich aussieht. Demontierte Küchen und Badezimmer, Sperrmüllreste – die letzten Mieter sind beim Auszug davon ausgegangen, dass die Häuser ohnehin abgerissen werden.

So muss vieles improvisiert werden. Im Garten tuckert ein Dieselgenerator. Wer bezahlt wohl den Treibstoff? „Wir sammeln“, sagt Alf. Geheizt wird vor allem mit Holz. Davon gibt es genug: Im Garten liegen mehrere Bäume, die bis vor kurzem einen schönen Hinterhof abgegeben haben müssen.

Es ist eine bunte Truppe, die sich da zusammen gefunden hat. „Wir sind eine Gemeinschaft, eine Familie“, sagt Alf nicht ohne Stolz. Gekocht wird gemeinsam, das Essen kommt von der Sozialistischen Selbsthilfe, die sozusagen als Serviceunternehmen für Hausbesetzungen fungiert. Ein Raum ist mit Theke und Sofas hergerichtet. Mit dem Verkauf von Getränken wird die Gemeinschaftskasse aufgebessert. Hier herrscht Hausbesetzer-Romantik pur. „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“, hat jemand an die Wand gekritzelt. Aber auch – durchaus bausparkassenkompatibel: „Wohneigentum für alle ist ein Stück Freiheit.“

Es ist eben alles unorganisiert, eine Leitung gibt es nicht. „Wer abends Theke macht, hat die Kasse“, erläutert Reinhard, ein weiterer Besetzer. Das erspart einen Kassenwart. Den Rest regelt das Plenum, das jeden Tag am 18 Uhr tagt. Konflikte bleiben dabei natürlich nicht aus. Eine linksradikale Internetseite aus Köln berichtete kürzlich von antisemitischen Ausfällen auf dem Plenum. Im besetzten Haus bestätigt man den Vorfall. „Wir haben demjenigen aber deutlich gemacht, dass solche Sprüche hier überhaupt nicht angebracht sind“, sagt Reinhard. Damit sei die Sache dann auch erledigt gewesen. „Wir sind alle Punks, wir sind keine Nazis“, versichert auch Alf. Im Hof zeugen noch Graffiti wie „Kein Freiraum dem Sexismus und Antisemitismus. Nazis raus“ oder „Nieder mit Deutschland!“ von dem Streit.

In der Kneipe herrscht Hausbesetzer-Romantik. „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“, hat jemand an die Wand gekritzelt

Im Flur hängen Zeitungsartikel an der Wand. Die Hall of Fame, sozusagen. Solche Resonanz ist wichtig für die Besetzer. Bevor sie da waren, schien der Abriss des Barmer Viertels beschlossene Sache. Inzwischen dreht sich die Stimmung. Linkspartei, Grüne Jugend und Jungsozialisten fordern, den Abriss zu stoppen. Die Grünen haben unter dem Eindruck der Hausbesetzung eine Kehrtwende vollzogen. Die Fraktionsspitze hatte den Abriss zunächst als unumkehrbar und unausweichlich verteidigt, wurde dann aber von der grünen Mitgliederversammlung zurückgepfiffen. Jetzt ist die Ökopartei dafür, die Wohnungen dem Studierendenwerk zur Verfügung zu stellen, bis neue Pläne für das Gelände erarbeitet sind.

Die Linkspartei stellte sich sofort auf die Seite der Besetzer. Ihre vierköpfige Fraktion kann sich derzeit jedoch nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Denn demnächst steht im Kölner Rat die Wahl eines neuen Stadtdirektors an. Ratsherr Claus Ludwig will Rot-Grün dabei nur unterstützen, wenn im Gegenzug der Abriss des Barmer Viertels gestoppt wird. Ratsherr Jörg Detjen hält diese Verknüpfung hingegen für „unrealistisch“. Mitte März besetzten Aktivisten aus dem Barmer Viertel deswegen kurzerhand das Fraktionsbüro der Partei. Die Besetzung wurde mittlerweile ausgesetzt – vorläufig, heißt es im Barmer Viertel.

Für eine Ratsmehrheit gegen den Abriss fehlen allerdings noch die Sozialdemokraten. Die Jusos haben ihre Mutterpartei aufgefordert, in der nächsten Ratssitzung am 4. April einem entsprechenden Antrag der Linkspartei zuzustimmen. Dann wäre das Barmer Viertel gerettet – vorausgesetzt, die konservative Stadtspitze lässt nicht vorher die Abrissbagger anrücken. Ein Abrissunternehmen ist mittlerweile ausgewählt.

Die Initiative Barmer Viertel, die die Besetzer unterstützt, will der Stadt die Tour in jedem Fall gründlich vermiesen. Die Verwaltung habe den Auftrag, das Barmer Viertel abzureißen, nicht öffentlich ausgeschrieben, kritisierte die Initiative – bei einer Größenordnung von etwa 3 Millionen Euro sei das aber zwingend. Anfang der Woche stellte sie deswegen Strafanzeige gegen Unbekannt: wegen Veruntreuung von Haushaltsmitteln.