Streitpunkte ausgespart

Schleswig-Holsteins Kabinett befasst sich mit der größten bildungspolitischen Reform seit 1990 – in so manchem Punkt des neuen Schulgesetzes sind die Koalitionspartner SPD und CDU sich uneins

140 eng bedruckte Seiten ist es dick, und soll die großen Fragen beantworten nach Pisa, dem demografischem Wandel und dem ganzen Rest: Gestern stellte Vizeregierungschefin und Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) im Kabinett das neue Schulgesetz für Schleswig-Holstein vor, die größte Reform seit 1990. Es soll am 1. Januar 2007 in Kraft treten. Damit ist der nördlichste Norden konsequenter als die Nachbarn: Hamburg brütet noch über einer Oberstufenreform und einem möglichen zweigliedrigen Schulsystem, während sich in Niedersachsen die Reformen überschlagen – teilweise ins Leere.

In Schleswig-Holstein bleibt auf den ersten Blick vieles beim Alten, denn über einen flächendeckenden Systemwechsel – etwa zur Gesamtschule – war mit der CDU nicht zu reden: Die Dreigliedrigkeit steht im Koalitionsvertrag. Dennoch muss sich etwas ändern: Schleswig-Holstein ist Bundessieger beim Sitzenbleiben und wird ab 2010 weniger Schüler haben, und damit irgendwann leere Klassenzimmer. Erdsiek-Raves Antwort ist die Gemeinschaftsschule: In ihr lernen Kinder noch in den Klassen 5 und 6 gemeinsam, erst danach wird differenzierter Unterricht angeboten. Das Modell soll Standorte retten, indem sich in kleinen Städten die Haupt- und Realschule zusammentun. Auch das örtliche Gymnasium könnte eingebunden werden. Einige Schulen haben laut Bildungsministerium bereits Interesse signalisiert.

Die CDU ist nicht wirklich glücklich darüber: Jede Art von „Einheitsschule“ ist für sie ein Irrweg. So nannte gestern CDU-Landesgeschäftsführer Daniel Günther die Gesetzesnovelle auch nur eine „gute Arbeitsgrundlage“. Ausdrücklich lobte er die christdemokratischen Positionen darin: Abi nach zwölf Jahren, „Profiloberstufe“ mit weniger Wahlmöglichkeiten, zentrale Abschlussprüfungen. Ebenso ausdrücklich betonte er aber, dass einige Punkte, allen voran die Gemeinschaftsschule, eingehend beraten werden müssten. Härter urteilt Ekkehard Klug, bildungspolitischer Sprecher der FDP: Der Entwurf sei „100 Prozent SPD, null Prozent CDU“.

Auf einen harten Streit mit der Koalitionspartnerin wird die CDU es aber wohl nicht ankommen lassen. Für die SPD ist die Gemeinschaftsschule eine Herzenssache. Erdsiek-Rave betonte, wie „wichtig und zukunftsweisend das pädagogische Konzept längeren gemeinsamen Lernens“ sei. Und vor der Demografie wird auch die CDU die Augen nicht verschließen können.

„Sitzenbleiben“ wird im Schulgesetz nicht konkret behandelt. Festgeschrieben ist, dass Schulen die Jugendlichen individueller fördern sollen. Jedes Kind soll einen Abschluss erreichen, die Zahl der Sitzenbleiber deutlich sinken. Statt vom Gymnasium in die Realschule oder von der Real- in die Hauptschule zu wechseln, könnten Jugendliche am Ende des entsprechenden Jahres die Prüfung ablegen – und hätten damit einen qualifizierten Abschluss in der Tasche. ESTHER GEIßLINGER