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Archiv-Artikel

Afrikanische Literatur gibt es nicht

ILB 2 Taiye Selasi eröffnete das Internationale Literaturfestival mit einem Plädoyer: Die Einteilung der Literatur nach der Herkunft des Autors ist Verrat

Überall waren Menschen, die sich unterhielten oder auf der Wiese sitzend lasen: Schon das Gelände vor dem Haus der Berliner Festspiele glich am Mittwochnachmittag einem Festivalplatz. Eine größere Gruppe hörte der Autorin Priya Basil aus Großbritannien zu, die einen offenen Brief an Angela Merkel verlas. Sie fordert die Bundeskanzlerin, angesichts der NSA-Affäre, zum Handeln auf. Später, bei der Eröffnungsfeier, war die Petition wieder ein Thema. Auf die zwei leeren Stühle auf der Bühne zeigte Festivalleiter Ulrich Schreiber: „Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr Julian Assange und Edward Snowden zu Gast haben können.“ Die mehr als 800 Gäste applaudierten.

Basil war die Moderatorin des Abends. „Globale Nomaden“ könne man die Generation der jungen Menschen nennen, die in einer anderen Kultur aufwachsen als ihre Eltern, sagte sie. Eine globale Nomadin ist auch Taiye Selasi, die bekannte Schriftstellerin aus Boston, heute sesshaft in Rom, mit dem nigerianischen und ghanaischen Hintergrund. Sie ist die Autorin des weltweit erfolgreichen Romans „Ghana must go“, der von einer über die Welt zerstreute Familie handelt, die sich durch den Tod des Vaters in der ghanaischen Heimat wiederfindet.

Mit ihrem Vortrag „Afrikanische Literatur gibt es nicht“ eröffnete Taiye Selasi das Festival und begann mit Bekenntnissen. Erstens gebe sie als Akademikerin gerne provozierende Statements ab. Zweitens: „Morgen werde ich schon alles bereuen, wenn sich die Literaturkritiker auf meine Rede stürzen.“

Ihre Rede ist tatsächlich provokant, wissenschaftlich fundiert und doch sehr persönlich. Die Grundthese: Die Einteilung der Literatur nach der Herkunft des Autors sei Verrat an der Komplexität der literarischen Kultur. Literatur als Verteidigung des Individuums gegen sämtliche Verallgemeinerungen sollte universell sein. „Es ist so, als würde man bei der Verwendung meines Namens ohne den Bindestrich, der meine Herkunft markiert, die imaginären Grenzen eines Staates bedrohen.“ Dabei wären in ihrem Falle ganze vier Bindestriche angebracht, da Selasi in London geboren wurde, eine nigerianischen Vater und eine ghanaische Mutter hat und in den USA aufwuchs.

Hat „afrikanisch“ eine zwingende Bedeutung? Warum werden Schweden, Italiener und andere nicht unter „europäische“ Autoren zusammengefasst? Warum werden die Nuancen der Unterschiede zwischen den afrikanischen Länder nicht beachtet? Dabei habe der Kontinent doch eine unvergleichbare kulturelle und linguistische Vielfalt. Daher liebe sie den deutschen Titel ihres Romans, sagte Selasi. Denn „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“ komme ohne das Etikett „Ghana“ aus.

Die einzig richtige Kategorisierung von Literatur sei die in gute und schlechte. Ihr Vorschlag, diese auch in Bibliotheken durchzusetzen, sorgte für Heiterkeit im Saal. „Aber ich könnte mir vorstellen, dass mein Buch eines Tages in einer neutralen Kategorie, etwa „Funktionale Familien“, auftaucht. Und daneben würde Thomas Manns „Buddenbrooks“ stehen.“ SEYDA KURT