: 7 Köpfe, 2 Ziele
Union und SPD müssen einen Kompromiss zwischen zwei unversöhnlichen Modellen finden: der Kopfpauschale, die die CDU wünscht, und der SPD-Idee Bürgerversicherung
VON SABINE AM ORDE UND LUKAS WALLRAFF
Nach der Haushaltsdebatte im Bundestag wird es ernst. Heute Abend kommen die Spitzen der schwarz-roten Koalition erstmals zusammen, um Eckpunkte für ihr derzeit wohl schwierigstes Projekt festzulegen: die Gesundheitsreform.
Die siebenköpfige Spitzenrunde, zu der SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht geladen ist, hat die schwere Aufgabe, einen Kompromiss zwischen zwei bislang unversöhnlichen Modellen zu erarbeiten: auf der einen Seite das Kopfpauschalen-Konzept der Union, bei dem der Manager und seine Sekretärin dieselbe Summe in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen und der soziale Ausgleich über Steuermittel finanziert wird. Dagegen steht die von der SPD favorisierte Bürgerversicherung, in die alle Bürger einkommensabhängige Beiträge einzahlen. Neben dem Lohn sollen auch andere Einkommensarten herangezogen werden.
Die Union will in den Verhandlungen ihre Kopfpauschale durchsetzen – und sei es auch nur eine kleine einheitliche Prämie, die lediglich einen geringen Teil der Gesundheitskosten deckt. Damit aber wäre der von CDU und CSU so dringend gewünschte Einstieg in einen Systemwechsel geschafft: die Abkopplung der Gesundheitskosten von den Löhnen. Nach Einführung könnte die Pauschale – zum Beispiel bei einem Regierungswechsel – weiter steigen. Zudem will die Union den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenkasse einfrieren. Bislang werden die Kassenbeiträge weitgehend zur Hälfte von den Unternehmen und den Beschäftigten finanziert. Setzt sich die Union durch, müssten künftig alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein die Versicherten tragen.
Beide Forderungen hat SPD-Chef Matthias Platzeck bereits abgelehnt: Seine Partei sei gegen Kopfpauschalen. Auch ein Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge sei „nicht sinnvoll“, sagte Platzeck. Kanzlerin Angela Merkel dagegen, die ihr Image als mutige Reformerin vor allem ihrem Kopfpauschalen-Konzept aus dem Jahr 2003 verdankt, hält sich derzeit auffallend zurück. Merkel stellte bislang öffentlich keine klaren Bedingungen für eine Einigung auf. Platzecks Festlegungen hätten ihn deshalb „einigermaßen erstaunt“, sagte gestern CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer, der an der 7er-Runde teilnehmen wird.
Die Union bleibe dabei, dass die Arbeitgeberbeiträge auf keinen Fall steigen sollen, erklärte Ramsauer. Originellerweise fügte der CSU-Mann aber einen neuen Vorschlag in Richtung SPD hinzu: Er könne sich „gut vorstellen, auch den Arbeitnehmeranteil einzufrieren“. Dass die Kostenlücke dadurch noch größer würde, ist klar. Ob sie über eine Pauschale oder über Steuern gefüllt werden soll, ließ Ramsauer offen. Es seien „mehrere Stellschrauben möglich“.
Die Sozialdemokraten, die natürlich Elemente ihrer Bürgerversicherung durchsetzen wollen, scheinen an einem anderen Punkt gesprächsbereit zu sein: bei der Steuerfinanzierung der Krankenversorgung der Kinder, die bislang beitragsfrei mitversichert sind. 15 Milliarden Euro würde das kosten, was den Finanzpolitikern gar nicht gefällt. Zur Finanzierung hatte CSU-Fraktionsvize Wolfgang Zöller unlängst die bereits beschlossene – und auch schon verplante – Mehrwertsteuererhöhung ins Auge gefasst. Breiter diskutiert aber wird zur Finanzierung die Einführung eines „Gesundheitssoli“, einer Steuer von 1 bis 2 Prozent auf das Bruttoeinkommen. Ein solcher „Soli“ hat auch bei den Sozialdemokraten Anhänger, darunter der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (siehe Interview). Denn im Gegenzug könnten nicht nur die Krankenkassenbeiträge um bis zu 1,5 Prozentpunkte sinken, der „Soli“ würde auch die Besserverdiener für die gesetzliche Krankenkasse in die Pflicht nehmen – ein großes Anliegen der SPD. Die Sozialdemokraten stört seit langem, dass sich immer mehr Besserverdiener in die für sie häufig günstigeren Privatversicherungen absetzen. Deshalb würde die SPD gerne eine Finanzspritze der privaten an die gesetzlichen Krankenkassen durchsetzen. Was wiederum die Union verhindern will. So betonte Ramsauer, es dürfe „keine weiteren Belastungen“ für die privaten Krankenversicherungen geben.
So wird es für die sieben Verhandler schwierig werden, einen Kompromiss zu erarbeiten. Eine Möglichkeit, die jüngst aus dem Gesundheitsministerium bekannt wurde, scheint Platzeck mit seinem Nein zur Kopfpauschale erst einmal vom Tisch gewischt zu haben. Nach dem Vorschlag aus dem Hause Schmidt sollten eine „kleine Kopfpauschale“ von bis zu 30 Euro eingeführt und im Gegenzug die einkommensabhängigen Kassenbeiträge nicht wie bislang nur vom Lohn, sondern auch von anderen Einkommensarten berechnet werden.
Ob Gesundheitsministerin Schmidt diesen Vorschlag allerdings Merkel bei ihrem dreistündigen Gespräch am Montagabend überhaupt unterbreitet hat, ist nicht bekannt. Schmidt hatte zuvor aus der Fraktion Zunder bekommen, der Kanzlerin kein Einfallstor für die Kopfpauschale zu liefern.
Irgendwie einigen aber muss sich die Koalition. Schließlich gilt die Gesundheitsreform als die wichtigste der anstehenden Reformen. Gibt es sie nicht, wird Schwarz-Rot eines seiner zentralen Ziele nicht verwirklichen: die Senkung der Lohnnebenkosten. Denn sicher ist: Ohne Reform werden die Krankenkassenbeiträge ab dem kommenden Jahr massiv ansteigen.