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: Der Klempner als Milliardenjongleur

Lange galt er als Weichei, als schwach und konfliktscheu, weil ohne Hausmacht. Nach dem machtbewussten Anton Benya, der den Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) ein Vierteljahrhundert angeführt hatte, war Fritz Verzetnitsch 1987 als Übergangskandidat auf den Schild gehoben worden. Aus dem Übergang wurden fast 19 Jahre. Vermutlich hätte auch Verzetnitsch 25 Jahre durch gedient, wäre er nicht über Spekulationsgeschäfte der gewerkschaftseigenen Bank Bawag gestolpert.

Der gelernte Klempner gewann nämlich an Profil, als die ÖVP-FPÖ-Regierung zum Sturm auf die Sozialpartnerschaft blies. In deren Rahmen werden Themen der Arbeitswelt und des sozialen Gefüges zwischen Regierung, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern diskutiert, bevor sie im Parlament landen. Dieses System hat Österreich Jahrzehnte sozialen Friedens beschert. Als es durch die Konfrontationspolitik der Wenderegierung gefährdet schien, zeigte der ÖGB mit Streiks und Demos Zähne.

Verzetnitsch, seit 1986 auch Abgeordneter der SPÖ im Nationalrat, gewann den Respekt von Freunden und Gegnern und galt bald als unentbehrlicher Konterpart der Regierungs- und Unternehmerseite. Ja, er wurde sogar als möglicher Vizekanzler einer schwarz-roten Koalition gehandelt.

Als Gewerkschaftsboss hatte der gebürtige Wiener, der von 1973 bis 1981 Jugendsekretär des ÖGB war, nicht immer eine glückliche Hand. Er musste sich vorwerfen lassen, für ein Luxuspenthouse, das der Bawag gehört, eine äußerst moderate Miete zu zahlen. Als vor ein paar Jahren ein Skandal in der Postgewerkschaft losbrach, war er auf Urlaub in Kanada tagelang unerreichbar. Während seiner Amtszeit schrumpfte die Zahl der ÖGB-Mitglieder von 1,65 auf 1,36 Millionen. Trotzdem wuchs der ÖGB über Beteiligungen, von der Lotterie bis zur Nationalbank, zu einem veritablen Imperium.

Er verstehe von Bankgeschäften nichts, versicherte Verzetnitsch nach seinem Rücktritt am Montag glaubhaft. Die komplexe Welt der Finanzspekulation war sein Metier nicht. Noch kurz bevor er 2000 mit dem drohenden Zusammenbruch der Bawag aufgrund solcher Deals konfrontiert wurde, hatte er sich bei US-Präsident Bill Clinton für Maßnahmen zur Kontrolle der Finanzmärkte eingesetzt. Sein Entschluss, die heilige Streikkasse zu verpfänden, um die Bank und damit die Einlagen hunderttausender kleiner Sparer zu retten, wird allgemein als naiv, aber mutig gewertet. Mit seinem schnellen Rücktritt in einem Land, wo Sesselkleben als politische Tugend gilt, dürfte er dem ÖGB größere Kalamitäten erspart haben. RALF LEONHARD

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