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Archiv-Artikel

Das Ding, das kommt Mensch ist, wer erfindet

GETROCKNETE ORANGENSCHALEN lässt der Künstler Joachim W. Danyel zu feinsinnigen Installationen sich verspinnen. Ausgestellt werden seine Arbeiten jetzt in Wolfsburg

La rivoluzione siamo noi – die Revolution sind wir: Unter diesem Motto schritt Joseph Beuys 1971, wenn auch nur per Ausstellungsplakat, von Neapel aus zum neuerlichen Angriff aufs Kulturestablishment und auf eine als verschnarcht empfundene bundesdeutsche Gesellschaft. Als revolutionäres Weltbild erfand der einen anthropologisch erweiterten Kunstbegriff: Jeder Mensch sei Künstler, kraft seiner Fähigkeiten – ob nun als Müllmann, Krankenpfleger oder Ingenieur. Oder wenn er Kohlrabi schält, wie Beuys selbst bei seinen Kücheninterviews tat.

Auch Joachim W. Danyel schält, allerdings keine Kohlrabi, sondern Apfelsinen. Und er schält sie nicht nur, er schneidet ihre Schale in ganz dünne Streifen. Die verspinnen sich zu einem installativen Gewebe, das dann sogar ein Monumentalwerk wie „Die Flamme der Revolution, liegend (in Wolfsburg)“ von Olaf Nicolai in der Städtischen Galerie Wolfsburg feinsinnig zu umgarnen weiß.

Vegetabiles Experiment und, ja: Humor verbinden sich da zur Kunst, die ja immer der Nimbus der einzigartigen „Erfindung“ umweht. Womit Danyels geheimnisvolle Transformationen einer Apfelsinenschale perfekt zum Titel der diesjährigen Wolfsburger „Phaenomenale“ passen würde, der da – frei nach Beuys – lautet: Jeder Mensch ist ein Erfinder.

Es wird viel erfunden in der Volkswagen-Stadt, und das längst nicht nur am Phaenomenale-Wochenende: Wolfsburg selbst ist angesichts seines 75. Gründungsjubiläums geradezu im erfinderischen Dauerstress. Im August hob man eine „Wohnbauoffensive“ – was für ein Wort! – für 20.000 Neubürger aus der Taufe, und seit ein paar Tagen dürfen Architekten im europaweiten Wettstreit ein „Bildungshaus“ entwerfen. Die Kombination aus Bibliothek und Volkshochschule war zwar schon mal en vogue – ungefähr zu den Zeiten, gegen die Beuys so vehement Sturm lief –, aber alter Wein in neuen Schläuchen ist halt das erfinderische Prinzip der Politik.

Mit der Selbsterfindung kam in jüngster Zeit eine Variante hinzu, die sich assoziationsreich auslegen lässt. Zum appellativen Imperativ „Erfinde dich selbst!“ fordert deshalb der Kunstverein auf, dies aber in gewohnt fundierter Manier: Er untersucht zeitgeistige Phänomene wie erfundene Biografien, das Personal Branding in den sozialen Netzen, aber auch deren Gegenteil: Anonymität und geteilte Identität. Ums Erfinden eigener Welten geht es da ebenso wie um basisdemokratische Formen politischer Selbstorganisation.

Heraus kommt eine erfinderische Mischung: Joseph Beuys erscheint neben der Hamburger Pseudo-Band Fraktus. Und Jakob Lena Knebl stellt, sozusagen als Movens jeder Erfindung, die elementare Frage: Mann oder Frau, Mensch oder Kunstobjekt? BETTINA MARIA BROSOWSKY

■ Joachim W. Danyel, „Spinning“: 12. 9.–31. 12., Städtische Galerie Wolfsburg www.staedtische-galerie-wolfsburg.de ■ Phaenomenale 2013: 12.–15. September; bei der Eröffnung am Donnerstag, 18 Uhr, Schloss Wolfsburg, wird erstmals der mit 10.000 Euro dotierte Social Media Art Award verliehen http://phaenomenale.com ■ „Erfinde dich selbst!“: Eröffnung: Donnerstag, 19 Uhr, Kunstverein Wolfsburg; bis 10. November www.kunstverein-wolfsburg.de