: Fahrrad fahren wie gedopt
MOTORKRAFT Die meisten Radler tun sich schwer mit der Elektrifizierung – und sehen sich jetzt mit einem Großangriff konfrontiert: noch leistungsstärkeren Pedelecs oder E-Bikes, aber auch einem, das vor allem billig ist
VON ELLEN DELESE
Mindestens so alt wie Mick Jagger, mehr als doppelt so schwer. Und dennoch zieht der ältere Herr recht mühelos vorbei. Ohne Keuchen tritt er in die Pedale. Ein Fitnessvorbild?
Nicht unbedingt. Der Mann sitzt auf einem der neuen Pedelecs, einem Velo mit Assistenzmotor – nach wie vor eine irritierende Erscheinung auf deutschen Straßen. 2008 zählten von den 4,3 Millionen verkauften Fahrrädern ganze 2,5 Prozent zu der Großgruppe der E-Bikes, für den ZIV (Zweirad-Industrie-Verband) sind das sämtliche Modelle mit elektrischer Antriebsunterstützung. Die genauen Zahlen des letzten Jahres liegen Geschäftsführer Siegfried Neuberger noch nicht vor, doch er ist sich sicher: Es gab eine kleine Steigerung – auf etwa 120.000 Stück –, und 2010 werden mehr denn je verkauft. Das Pedal Electric Cycle (abgekürzt Pedelec) erlebe jetzt seinen Durchbruch, „vor allem aufgrund leistungsfähigerer und leichterer Lithium-Ionen-Akkus und einer besseren Elektronik“.
Es wächst der Wagemut bei Herstellern und Händlern. Utopia zum Beispiel, Produzent gediegener Reise- und Stadträder, will in dieser Saison seine Kunden erstmals wählen lassen: Jedes aktuelle Modell ist normal ausgestattet oder mit Elektroantrieb zu haben, wobei dieser das Fahrrad um wenigstens 1.600 Euro verteuern würde. So ein Utopia-Pedelec verfügt über einen 250-Watt-Elektromotor und einen Lithium-Akku, der nach 30 bis 50 Kilometer wieder aufzuladen ist. Der Motor springt erst dann an, wenn der Fahrer selbst in die Pedale tritt. Das ist bei Pedelecs so üblich, E-Bikes hingegen können auch allein durch Betätigung des Gashebels beschleunigt werden. Utopias motorgestützte Velos fahren lediglich auf den ersten Metern selbstständig: Bis zu einer Geschwindigkeit von sechs Stundenkilometern kann der Fahrer die Beine ruhig halten. Und ab Tempo 25 macht der Motor dann Feierabend.
Für seine Altkunden hat sich Utopia die Nachrüstung ausgedacht. Geschäftsführer Ralf Klagges: „Wer sich in den letzten 14 Jahren ein Fahrrad bei uns gekauft hat, kann es uns über seinen Händler zuschicken. Wir unterziehen es einem Belastungstest, um feststellen, ob es möglich ist, den gesamten E-Support zu installieren.“
Eine aufwändige Prozedur und dazu Preise, die fürs Fahrrad außergewöhnlich hoch sind – das lässt keinen Billigheimer kalt. Und so tritt als Preisbrecher neuerdings ein einschlägig bekannter Kaffeeröster auf. Der Tchibo-Onlineshop bietet ein komplettes Elektro-City-Rad für 599 Euro an. Der Uni-Rahmen ist silberfarben lackiert, vorne hängt ein Lenkerkorb, in der Nabenschaltung warten sieben Gänge. Ein 250-Watt-Elektromotor treibt das Vorderrad an, abgeregelt wird auch hier bei 25 Stundenkilometern. Der Lithium-Akku, am Sattelrohr platziert, muss spätestens nach 60 Kilometer aufgeladen werden.
Für Gunnar Fehlau und Peter Barzel dürfte das Tchibo-Gefährt wohl kaum das Richtige sein. In ihrem vor Kurzem erschienenen Fachbuch „Das E-Bike“ ziehen sie die Grenze bei 1.500 Euro: Nur wer wenigstens diese Summe investiere, erhalte „solide und verlässliche Technik, zumeist verpackt in ein stimmiges Gesamtkonzept“.
Genau das nimmt die Riese und Müller GmbH für sich in Anspruch. Der Darmstädter Hersteller, bekannt geworden durch seine gefederten Fahrräder, hat seine E-Bike-Kollektion um ein fünftes Modell erweitert. 4.000 Euro kostet das Delite hybrid 500 HS, aber dafür bekomme man ja auch, sagt Unternehmenssprecher Tobias Spindler, „das einzige Fahrrad, das in der schnellen Klasse mit einem 500-Watt-Motor aufwarten kann“.
Der Begriff schnelle oder offene Klasse hat sich zumindest unter Insidern durchgesetzt: zur Kennzeichnung der Super-Pedelecs. Bei denen unterstützt der Motor weit über Tempo 25 hinaus. Wie auch bei Rädern der Schweizer Biketec AG ist beim Delite erst bei 45 Stundenkilometern Schluss. Zur Sicherheit hat man dem Delite nicht nur technische Finessen wie Luftfederung und Bremsenergierückgewinnung, sondern auch Scheibenbremsen spendiert.
Der Gesetzgeber stuft so ein flottes Ding als „Kleinkraftrad mit geringer Leistung“ ein – und verlangt von seinen Fahrern einen gültigen Führerschein, gleich welcher Klasse, oder eine Mofaprüfbescheinigung, außerdem eine Haftpflichtversicherung. Auch Ralf Klagges von Utopia steht der schnellen Klasse reserviert gegenüber. „In den Großstädten haben wir zu dichte Verkehrssituationen, zu enge und vollgestellte Radwege. Eine Unterstützung bis 25 km/h reicht da vollkommen aus.“