: Im Takt der Maschinen
AUS ESSEN ANNIKA JOERES
Eine neue Versicherung. Sefa Catal wünscht sich eine neue Lebensversicherung für sich und seine Kinder und deswegen steht er jetzt in der Essener Innenstadt im Regen. Catal streikt für fünf Prozent mehr Lohn, für sich und seine KollegInnen in der Metallindustrie. „Ich möchte meine Familie sichern“, sagt der 39-Jährige. Er habe seine Arbeit getan, nun seien die Firmenchefs am Zug. Catal pocht rhythmisch auf sein Autolenkrad und hupt. Er fährt in dem 2,5 Kilometer langen Autokorso der Metaller durch die Essener Innenstadt.
Der Mann mit der hohen Stirn scheint an seine Arbeit im Akkord zu denken. Catal bedient eine Presse bei der Essener Firma Kramer Walterscheid, ein Spezialist für Anhängerkupplungen. Wenn er die Metallscheiben schnell genug formt und zuschneidet, die Maschine pausenlos rotieren lässt, kriegt er einen Zuschlag. „Aber das ist kaum zu schaffen.“ Eine Viertel Sekunde pro Scheibe, 1.000 Stück in der Stunde, jeden Werktag von sechs bis vierzehn Uhr, sind ein fast unerreichbares Ziel. Aber nur fast, und deswegen versucht Catal jeden Tag aufs Neue, das Extrageld einzuheimsen. „Nach einer Lohnerhöhung wäre ich vielleicht weniger gestresst“, hofft er. Sicher ist er sich nicht.
Catal setzt auf seine KollegInnen. Wenn sich alle mit den Arbeitgebern anlegen, könnten sie es schaffen, sagt er. Bisher haben die Metallverbände allerdings kein Angebot für ihre 700.000 Beschäftigten in NRW abgegeben. Bis zum sechsten März werden deshalb die Warnstreiks fortgesetzt, Catal will dabei sein, „bis zum bitteren Ende.“ Er hofft, die Angst vor dem Jobverlust zu verlieren. „Wenn ich kämpfe, geht die Angst weg.“ Ohne Beschäftigung wird er nervös.
Zuletzt hat er vor fast zwanzig Jahren gekämpft, da war er Azubi als Schlosser. Damals ging es um die 35-Stunden-Woche, am Ende wurde sie schrittweise eingeführt. „Von dem Kampf zehre ich bis heute.“ Er motiviere ihn für die heutigen Auseinandersetzungen. „Wir machen ja unsere Arbeit“, sagt er immer wieder. „Wir ja.“
Schon seine Eltern haben in der Metallbranche gearbeitet, auch sie waren Gewerkschafter und meistens SPD-Wähler. Manchmal auch Grüne. Dass jetzt die CDU gewählt wurde, versteht er nicht. Hartz und das ganze Paket seien doch auf dem Mist der Christdemokraten gewachsen, glaubt er. Mit denen wolle er nichts am Hut haben. Das sage auch sein Vater, der Ex-Opel-Arbeiter, der jetzt wieder dort in der Türkei lebt, wo Catal geboren wurde. „Ohne Arbeit wollte er zurück“. Opel bot dem Vater eine Abfindung an, er nahm an und fuhr in die Türkei. Sefa Catal ist froh, dass Catal senior den aktuellen Arbeitskampf bei Opel nicht mit ausfechten musste. „Der hatte genug gearbeitet.“
Catals Arbeit will ihm auch nach 14 Uhr nicht aus dem Kopf. Wenn es ruhiger wird zu Hause, wenn er mit seinen beiden Kindern spricht, dann hämmern die Maschinen weiter im Kopf. Wenn er nachmittags ins Fitnessstudio geht, wenn er am Wochenende seine Brüder in Bochum besucht, hört er das Schweißgerät der Kollegen, die nur zehn Meter neben ihm in der Halle das Metall schmelzen lassen. Die Stöpsel können nicht immer die Ohren verschließen: „Wir müssen uns auch Befehle weitergeben, uns dann anschreien.“ Den Nachhall müsse er in Kauf nehmen.
Catal ist nicht arm, vor allem ist er reich an Versicherungen. Die Riesterrente für seine Frau, eine private für sich, eine Arbeitsunfähigkeitsversicherung. Weil seit zwei Jahren sein Lohn nicht erhöht wurde und „alles so teuer wird“, hat er aber schon schweren Herzens seine Hausratsversicherung gekündigt. Hoffentlich passiert jetzt nichts, sagt er. Vielleicht würde er mit einer neuen Lohnerhöhung wieder in die Versicherung eintreten. Auch fortbilden würde er sich, wenn diese Forderung der Gewerkschaften durchkäme. „Ich will am Computer lernen“, sagt er, viele Maschinen würden am PC bedient. Das sei auch für die Firma billiger.
Seit zehn Jahren arbeitet er in der Essener Maschinenhalle – ein Leben im Akkord. „Ich arbeite gerne“, sagt er. Auch am Wochenende steht er um vier Uhr morgens auf. „Meine Frau beschwert sich immer“, lacht er, aber Catal mag seinen geordneten Alltag. Jeden Morgen dieselben Rituale: Aufstehen, zwanzig Minuten Gymnastik und Atemübungen, weil das gut für die Lunge sein soll. Duschen, Kaffee trinken, fünf Kilometer zur Arbeit fahren, mit Kollegen einen Kaffee trinken, drehen, fräsen, schneiden. Dann kommen die Kinder dran. Sie sind beide geistig behindert und so fährt Catal sie mit seiner Frau fast täglich zu einer Therapiesitzung. „Der Nachmittag ist durchgeplant“, sagt er.
Gerät der Arbeitsplan durcheinander, ist Catal Springer: Wenn andere Arbeiter krank sind, transportiert er die Kupplungen zu den Käufern. „Da bin ich immer unterwegs, kann mit den Kollegen plaudern.“ Und Catal plaudert gerne und viel. Ungünstig, wenn der Maschinenlärm die Worte schluckt. Trotzdem will er die Arbeit nicht wechseln – nicht mehr, seitdem er einen neuen Chef hat.
Seine Belegschaft hat sich über die Insolvenz ihres Betriebes gefreut. Im vergangenen Jahr ging Kramer pleite, Walterscheid kaufte den Betrieb auf, der alte Boss flog. „Sonst wäre ich verrückt geworden“, sagt Catal, ob mit oder ohne fünf Prozent mehr Gehalt. „Der war ein Tyrann, ein Diktator.“ Fast täglich habe er mit der Kündigung gedroht, MitarbeiterInnen beleidigt und eingeschüchtert. „Eine schreckliche Ohnmacht“, sagt Catal leise. Ein Psychiater riet ihm, den Job sofort hinzuschmeißen, aber Catal musste wieder an die Sicherheit seiner Familie, an seine Kinder denken, und blieb, ließ sich beschimpfen, bekam Migräne, Schwindel. Die Gewerkschaft habe ihm da sehr geholfen. „Alleine hast Du keine Chance, die machen dich fertig.“ Dabei habe er ja nur seine Arbeit gemacht. Und zwar korrekt, sagt er zufrieden.