piwik no script img

Archiv-Artikel

Minsker Albtraum

Weil sie über die Proteste in Weißrussland berichteten, mussten zahlreiche aus- und inländische Reporter in Haft

BERLIN taz ■ Offensichtlich will bei Alexander Lukaschenko über seinen „eleganten“ Sieg bei den weißrussischen Präsidentenwahlen keine rechte Freude aufkommen. Stattdessen lässt der autoritäre Staatschef seine Handlanger weiter mit gnadenloser Härte gegen in- und ausländische Vertreter unabhängiger Medien vorgehen.

Seit Lukaschenkos grandioser Wiederwahl am 19. März wurden nach Angaben von Reporter ohne Grenzen 26 Journalisten festgenommen. 17 von ihnen sitzen derzeit noch in Haft. Am vergangenen Montag verurteilten Minsker Distriktgerichte mehrere Journalisten in Schnellverfahren zu Haftstrafen zwischen 8 und 15 Tagen. Die Vergehen der Beschuldigten: „Vandalismus“, Teilnahme an verbotenen Veranstaltungen sowie Beleidigung. Beim Straftatbestand Beleidigung geht es in der Regel um jede Form der Kritik an den bestehenden Zuständen beziehungsweise die Verunglimpfung des „unfehlbaren“ Staatspräsidenten.

Unter den Verhafteten hatte sich auch Pawel Scheremet, Mitarbeiter des russischen Fernsehsenders „Perwi Kanal“, befunden. Scheremet hatte bereits vor Jahren in Minsk eine längere Zeit in Haft gesessen, weil er über Schmuggel an der weißrussisch-litauischen Grenze recherchiert hatte. Am Montag war er vor seiner Entlassung zusammengeschlagen und aufgefordert worden, Weißrussland innerhalb von 48 Stunden zu verlassen.

Anders als Scheremet sitzt der Kanadier Frederick Lavoie, Reporter der Montrealer Tageszeitung La Presse, immer noch im Gefängnis. Auch er war zu 15 Tagen Haft verurteilt worden. Am Montag forderte der kanadische Außenminister Peter MacKay die weißrussischen Behörden auf, Lavoie unverzüglich freizulassen. Mit sofortiger Wirkung werde die kanadische Regierung ihre Beziehungen zu Weißrussland einschränken, sagte er.

Für die Moskau-Korrespondentin der französischen Tageszeitung Libération, Lorraine Millot, ging der Minsker Albtraum noch glimpflich ab. Sie war in der Nacht von Freitag zu Samstag vergangener Woche, während der gewaltsamen Räumung des oppositionellen Zeltlagers auf dem Minsker Oktoberplatz, zusammen mit sechs weiteren Personen verhaftet worden. Anders als die meisten Journalisten hatte Millot eine gültige Akkreditierung. „Aber das interessierte die Polizisten nicht, sie führten mich trotzdem ab“, sagt Millot. Nur der Intervention von drei französischen Diplomaten sei es zu verdanken gewesen, dass sie schon eine Stunde später wieder auf freien Fuß gesetzt worden sei. Am Ende habe ihr der Inspektor noch einen guten Rat mit auf den Weg gegeben: „Kümmern Sie sich lieber um die Probleme in Frankreich.“

BARBARA OERTEL