: „Eine neue Qualität rechter Alltagskultur“
Das Scheitern der DVU bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt ist kein Grund zur Entwarnung. Im ländlichen Raum nehmen die Rechten zunehmend Einfluss auf den öffentlichen Diskurs, warnt Heike Kleffner von der mobilen Opferberatung
taz: Haben sich die Wähler in Sachsen-Anhalt nach den Erfahrungen von 1998 als lernfähig erwiesen, als sie die DVU auf dem Stimmzettel weitgehend ignorierten?
Heike Kleffner: Die DVU ist lokal wenig verankert und verfügt nicht über die Strukturen der NPD. Sie hat auch kein wirklich kampagnenfähiges Thema oder die mobilisierende rassistische Parole gefunden, um das rechte WählerInnenpotenzial zu aktivieren. Ich vermute aber, dass sich unter den 65 Prozent NichtwählerInnen auch viele potenzielle DVU- beziehungsweise NPD-Sympathisanten befinden. Die Medienberichterstattung kann auch dazu beigetragen haben, da in den Wochen vor der Wahl noch einmal an die desaströse DVU-Fraktion vor zwei Legislaturperioden erinnert wurde.
Hätte das Ergebnis also anders ausgesehen, wenn die „unbelastete“ NPD statt der DVU angetreten wäre?
Das ist insofern spekulativ, als die NPD-Strukturen hier noch nicht so weit sind wie in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern. Das wird vermutlich bei der nächsten Landtagswahl anders aussehen.
Also kein Grund zur Entwarnung?
Im Gegenteil. Wir sehen in Sachsen-Anhalt eine der bundesweit aktivsten Kameradschaftsszenen. Wir sehen flächendeckend eine neue Qualität rechter Alltagskultur. Und wir sehen auf der kommunalpolitischen Ebene beim Umgang mit Neonaziaktivitäten noch immer die Tendenz, das als Imageproblem zu behandeln und deshalb lieber den Mantel des Schweigens darüber zu breiten oder es zu verharmlosen. Es wäre im Übrigen auch verkehrt, zwischen NPD und Kameradschaften zu trennen. Kameradschaftsaktivisten nutzen insbesondere die Strukturen der Jungen Nationaldemokraten (JN). Und dann gibt es Kommunalpolitiker, die meinen, mit der NPD könne oder müsse man ja noch reden. Damit sorgen sie für eine Stimmung, in der sich Opfer und potenziell Betroffene rechter Gewalt völlig ausgegrenzt und schutzlos fühlen müssen.
Das Erfolgsgeheimnis der NPD in Sachsen war ja, dass sie die bürgerliche Mitte zu erobern begann.
Das stimmt. Allerdings gibt es auch noch einen zweiten Faktor: Die erste Generation von Naziskinheads und rechten Aktivisten aus den frühen 1990er-Jahren, die inzwischen scheinbar nicht mehr in der Szene aktiv sind, bilden vielerorts das StammwählerInnenklientel der NPD. Sie sehen die NPD als Wahlpartei, die ihre Überzeugungen vertritt, auch wenn sie selbst vielleicht nicht mehr aktiv beispielsweise an Aufmärschen teilnehmen.
Wie ist dann ein scheinbar bürgerlicher Typ wie der DVU-Spitzenmann Ingmar Knop einzuordnen?
Bei seinem Auftritt beim Wahlforum der Magdeburger „Volksstimme“ war auch die Kameradschaft „Festungsstadt“ vor Ort. Knop scheint da offenbar wenig Berührungsängste zu haben.
Wird der Rechtsextremismus denn vor Ort effektiv erkannt und angegangen?
Nehmen wir das Beispiel Halberstadt. Dort konnten in den letzten Monaten Neonazis und NPD fast jede Veranstaltung stören, in der es um Rechtsextremismus ging. Zudem konnten sie an einem Vorbereitungstreffen gegen den geplanten Neonazi-Aufmarsch am 22.April teilnehmen. Ich finde es fahrlässig, dass die Organisatoren des Bürgerbündnisses das zugelassen haben. Damit werden NPD und Kameradschaftsaktivisten als scheinbar legitime politische Akteure aufgewertet. Und den Opfern rechter Angriffe, von denen es in Halberstadt doch einige gibt, wird damit vermittelt: „Es war nicht so schlimm, stellt euch nicht so an und setzt euch mit denen an einen Tisch!“ Die Botschaft lautet: Es gibt keine Grenzen für die extreme Rechte, und die Opfer müssen sich weiter überlegen, welche Orte sie besser meiden.
Positiv formuliert: Man könnte eigentlich etwas gegen die schleichende Ausbreitung der Rechten tun?
Die Erfolge von Neonazis und NPD sind nicht darauf zurückzuführen, dass die Rechten so brillante Strategen wären; sondern auf eine Mischung von Hilflosigkeit und Ignoranz seitens politisch Verantwortlicher. Rechtsextremismus ist eben keineswegs allein ein ordnungspolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Problem.
Haben Landes- und Bundesprogramme gegen rechts mehr als einen symbolischen Wert?
Es wäre sinnvoll, die existierenden und wissenschaftlich evaluierten Projekte zu verstetigen. Bundesprogramme wie Civitas sollen ja zum Jahresende auslaufen. Es muss aber auch viel mehr gefördert werden, wenn es darum geht, eine nicht rechte und demokratische Kultur vor Ort lebendig zu erhalten. Nur dort, wo es entsprechende Angebote gibt, können sich Jugendliche überhaupt noch entscheiden. Denn unbeachtet von einer überregionalen Öffentlichkeit findet gerade im ländlichen Raum nicht nur in Sachsen-Anhalt vielerorts ein Rollback statt in die Verhältnisse der frühen 1990er-Jahre. Insofern ist Halberstadt nur ein Beispiel für einen aktuellen battle ground, wo es um die Hegemonie im öffentlichen Raum und lokalen Diskurs geht.
Unter der schwarz-gelben Landesregierung gab es kein Programm gegen rechts. Was erwartet uns mit Schwarz-Rot?
Nach dem Vorbild von Brandenburg und Sachsen sollte die neue Landesregierung auch in Sachsen-Anhalt ein Landesprogramm für Demokratie und Toleranz auflegen. Es bedürfte, wie gesagt, auch einer qualifizierten Unterstützung für Kommunalpolitiker, um deren Wagenburg-Mentalität aufzubrechen. Wer auf rechte Gewalt aufmerksam macht, auch in den Medien, darf nicht als Nestbeschmutzer gelten. Viele Politiker haben offenbar noch nicht begriffen, dass die Opfer rechter Gewalt vermehrt auch die Kinder ihrer eigenen Wähler sind.INTERVIEW: DIETMAR BARTSCH
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