: Die Oper einer Frau
BÜHNE Keith Warner hat an der Deutschen Oper Verdis „Nabucco“ neu inszeniert. Es ist kein Stück über die Revolution geworden
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Applaus schon nach der Ouvertüre, das gab es schon lange nicht mehr in der Deutschen Oper. Andrea Battistoni, der Dirigent, hat ihn verdient. Gerade mal 26 Jahre alt ist der Mann und hat das gewöhnlich eher bieder spielende Orchester zu einem Verdi verführt, der elegant leuchtend, auf leichten Füßen daherkommt.
Aber beklatscht wurde auch Verdi selbst, der nicht nur Melodien erfinden konnte wie kein anderer, sondern immer genau wusste, was sie leisten können. Wir müssen nicht warten, bis am Ende des dritten Aktes der Chor der Israeliten endlich sein Sehnsuchtslied anstimmt: „Flieg, Gedanke, auf goldenen Flügeln“. Nein, „Va, pensiero“ ist schon das Zentrum der Ouvertüre, und unter Battistonis Leitung klingt die Instrumentalversion so überwältigend schön, dass es tatsächlich schwerfällt, nicht in spontanen Jubel auszubrechen.
Über all dieser reinen Schönheit jedoch steht auf der Bühne ein raumfüllend erdrückendes Monument, das Rätsel aufgibt. Es erinnert an einen Staudamm oder den Kühlturm eines Atomkraftwerkes, denn es dampft gewaltig viel Theaternebel heraus. Die Farbe dieses Tanks jedoch übernimmt ironisch die helle Holztäfelung des Opernsaales aus den sechziger Jahren.
Der liebe Gott selbst, so wie er zu Verdis Zeiten wohl in den biblischen Geschichten für Kinder abgebildet war, schiebt die wuchtigen Wände auseinander. Er ist ein alter sanfter Mann mit langem weißen Bart und will uns zeigen, was sich im Innern dieses Gehäuses ereignet hat. Eine Geschichte aus der Bibel, die Keith Warner genau so erzählen möchte, wie Verdi sie komponiert hat, nicht so, wie wir sie heute vielleicht verstehen und auf unsere Gegenwart beziehen möchten.
Das macht seine Inszenierung bedeutend, aber auch schwierig. Erst in den Schlussbildern lösen sich wenigstens einige der Rätsel auf, vor die uns Warner stellt. „Nabucco“ aus dem Jahr 1842, der erste große Erfolg des damals auch erst 29 Jahre alten Giuseppe Verdi, ist nicht die Propaganda-Oper der Befreiung eines unterdrückten Volkes aus der sprichwörtlichen Knechtschaft Babylons.
Es ist die Oper einer tragischen Frau, die sich rächen will an ihrem Vater und dem Mann, in den sie sich unglücklich verliebt hat. Von beiden fühlt sie sich verstoßen und missachtet.
Für Warner ist sie das Zentrum, und er hat recht. Verdi selbst hat seine Musik um die Figur der „Abigaille“ herum komponiert. Sie hat die größten Arien. Der Krieg der beiden großen Männer, die großen Chöre ihrer Völker, sogar „Va, pensiero“: sie alle sind Spiegel für die Wut der enttäuschten Liebe einer Frau. Zärtlich lässt Warner sie den Vater umarmen in der Szene des großen Duetts, in der sie eigentlich ihre Rache mit dem eigenhändigen Königsmord vollenden will.
Das misslingt ihr wie alles andere auch, aber Warner schenkt ihr das größtmögliche Finale, das auf seiner ummauerten Bühne vorstellbar ist: Die Rückwand öffnet sich, und im gleißenden Gegenlicht schreitet Abigaille auf der Zentralachse nach vorne, die Chöre, die eben noch Nabuccos neuen Gott Jahwe gepriesen haben, weichen zur Seite, um ihr den Weg freizumachen.
Aber dann schließt sich der Turm, die Oper ist zu Ende, die verstoßene Tochter trommelt mit den Fäusten vergeblich auf diese Bühnenarchitektur ein, die nun nicht mehr nur rätselhaft wirkt. Sie ist das Symbol einer geschlossenen Gesellschaft, blind und taub für diesen Menschen, den Verdi mit Shakespeares unmoralischem Blick für das Schicksal gezeichnet hat.
Anna Smirnova leiht dieser Figur ihre enorme Stimme. Das ist überaus beeindruckend, solange sie ihren Zorn in voller Lautstärke heraussingen kann. Aber Verdi hat ihr auch leise Töne in die Noten geschrieben, in denen Trauer und dieselbe Sehnsucht nach Heimat aufklingt, die später der Chor der Israeliten fortsetzen wird. Mit diesen Facetten kommt Smirnova nicht zurecht. Ihre eiskalte, harte Stimme ist dafür wohl auch schlecht geeignet, und so bleibt ausgerechnet die extrem komplexe Zentralfigur seltsam starr und einseitig auf Gewalt und Hass festgelegt.
Das genaue Gegenteil gilt für Johann Reuter. Für die Rolle des Nabucco hat sein warmer Bariton eigentlich zu wenig Volumen. Aber Reuter macht diesen Mangel durch intensives Schauspiel und große Musikalität des Gesangs wett. So gelingt es ihm, zu zeigen, wie aus einem zynisch selbstherrlichen Feldherrn ein klinisch Irrer wird, der sich selbst für Gott hält, dann in Ketten gelegt um Mitleid bettelt und schließlich meint, seinen Verstand wiedergefunden zu haben, weil er jetzt an den Gott des Predigers Zaccaria glaubt. Vitalij Kowaljow lässt dafür seinen russischen Bass in die tiefsten Tiefen sinken, und alle könnten zufrieden sein in der Burg. Wären da nicht Verdi und Keith Warner, die es beide besser wissen.
■ Nächste Vorstellungen 12., 15. 9., 3., 5., 8., 13. 10.