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Archiv-Artikel

Das Auge des Gesetzes ruht nicht

... sieht aber ab dem ersten Stock schwarz, so verspricht die Polizei dem Datenschutzbeauftragten. Videoüberwachung auf der Reeperbahn gestartet. Anwohnerin schaltet Rechtsanwalt ein

von GERNOT KNÖDLER

Anita Andersson* fühlt sich unter Aufsicht. Seit einigen Tagen ist eine Polizeikamera auf die Fenster ihrer Etagenwohnung an der Reeperbahn gerichtet. Die Kamera sitzt am Kopf eines langen Masts auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn und gehört zur Videoüberwachung der Meile, die Innensenator Udo Nagel (parteilos) gestern gestartet hat. Andersson hat sich Gardinen zugelegt und die Polizei gebeten, mit einer mechanischen Sperre sicherzustellen, dass ihr die Kamera nicht in die Wohnung schaut. Die Polizei lehnte das ab. Der Bildschirm werde aber automatisch schwarz, sobald die Kamera die Höhe des ersten Stocks erreiche. Andersson erwägt zu klagen.

Mehrfach sei die Kamera in den vergangenen Wochen auf das Fenster seiner Mandantin ausgerichtet gewesen, schrieb Anderssons Anwalt Dirk Audörsch der Polizei. Es könne zwar nicht gesagt werden, ob tatsächlich gefilmt wurde. Allein die Möglichkeit, dass die Kamera lief, stelle jedoch einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung dar. Audörsch: „Wenn eine Kamera auf mein Fenster gerichtet ist und ich nicht weiß, ob sie läuft oder nicht, kann ich mich nicht mehr frei bewegen.“ Auch die innenpolitische Sprecherin der GAL, Antje Möller, findet: „Das greift massiv in Freiheitsrechte ein.“

Der Datenschutzbeauftragte Hartmut Lubomierski glaubt, dieses Problem durch Verhandlungen mit der Polizei entschärft zu haben. Wenn die Kamera in die Höhe des ersten Stockwerks oder höher schwenke, werde der Bildschirm automatisch schwarz. Das habe er sich von der Polizei vorführen lassen. „Wer das nicht glauben will, darf sich gerne an mich wenden“, bietet Lubomierski an.

Ausnahmen gebe es nach der Dienstanweisung der Polizei nur bei besonderen Vorkommnissen. Klettert jemand auf Höhe des dritten Stocks an der Fassade, kann ein leitender Beamter den Monitor frei geben. Die Freigabe müsse protokolliert, betroffene Wohnungsinhaber müssten im Nachhinein informiert werden. Den Blick auf die oberen Stockwerke mechanisch zu sperren, sei „konstruktiv nicht möglich“, sagt Lubomierski.

Nach Angaben des Datenschutzbeauftragten überwacht ein Polizist vor zwölf Monitoren den „Kriminalitätsschwerpunkt“ Reeperbahn. Die dazu gehörenden Kameras steuert er von Hand. Weckt ein Ereignis sein Interesse, verweilt er mit dem Kameraauge auf dieser Stelle und zoomt das Bild heran.

Problematisch findet Lubomierski die Überwachung von Hauseingängen, die nach der geltenden Regel bis zu 20 Minuten vom elektronischen Auge des Gesetzes beobachtet werden werden dürfen. „Es steht in der Dienstanweisung, dass keine systematische Beobachtung der Eingangsbereiche erfolgen darf“, sagt der Datenschutzbeauftragte. Eine zehnminütiger Blick auf einen Ort ist aus seiner Sicht das Äußerste, denn der betreffe die Anwohner. Besucher der Reeperbahn werden mit Schildern auf die Videoüberwachung hingewiesen. Wer sich daran stört, kann die Meile meiden. Es gelte diejenigen zu schützen, die sich der Videoüberwachung nicht entziehen können, so Lubomierski. „Das sind die, die da leben.“

Das Filmen von Hauseingängen und Fassaden überschreite datenschutzrechtliche Grenzen, findet die GAL-Abgeordnete Möller. „Pseudo-Sicherheit mit Hilfe massiver Einschränkung unserer Grundrechte, das ist immer wieder die Strategie der Innenbehörde“, kritisiert sie. Gezielte Kriminalitätsbekämpfung sehe anders aus. *Name geändert