: Die vernachlässigte Killerkrankheit
Bis zu 500 Millionen Menschen erkranken jährlich neu an der Malaria. Vor allem Kinder in Afrika sterben an der Infektionskrankheit. Viel zu lange hatte die Pharmaforschung kein großes Interesse an der Entwicklung von Impfstoffen
VON KARIN FLOTHMANN
Was keinen Profit verspricht, ist uninteressant. So ähnlich muss jahrelang das Motto der internationalen Pharmakonsortien gelautet haben. Denn „jahrzehntelang haben die Pharmariesen dieser Welt das Thema Malaria komplett vernachlässigt“. Dr. Jürgen May weiß, wovon er spricht. Als Tropenmediziner arbeitet er für das Bernhard-Nocht-Institut und im ghanaischen Kumasi, wo das Hamburger Tropeninstitut Untersuchungen in Sachen Malaria durchführt.
Inzwischen hat sich die Einstellung der Pharmaindustrie wie es scheint gewandelt. Auf den Internetseiten von GlaxoSmithKline (GSK) taucht immer wieder mal ein kleines Kind aus Afrika auf. Der Pharmakonzern hat zusammen mit dem Walter Red Army Institute of Research, in Silver Spring, USA, vor einigen Jahren den ersten viel versprechenden Impfstoff gegen Malaria entwickelt.
Vielleicht entdecken die Pharmakonzerne, wie bezahlt es sich fürs eigene Image macht, wenn ab und an auch ein humanitäres, ethisch korrektes Forschungsprojekt aus dem eigene Hause kommt. Andererseits könnte der plötzliche Forschungseifer einiger Pharmakonzerne aber auch einfach mit Geld zusammenhängen. Denn für die Erforschung von Medikamenten gegen Malaria ist seit wenigen Jahren Geld da: Die Europäische Union hat 2003 ein Programm in Höhe von 600 Millionen Euro aufgelegt, um damit die Entwicklung von Mitteln gegen armutsbedingte Krankheiten zu fördern. Und im Oktober 2005 gab der reichste Mann der Welt, Bill Gates, bekannt, er werde zur Förderung der Malariaforschung eine Summe von 422,6 Millionen Dollar zur Verfügung stellen.
Von dieser Summe der Bill and Melinda Gates Foundation profitieren auch die acht Studien, die den neuen Impfstoff RTS,S/AS02S von GKS in Afrika auf seine Wirksamkeit hin prüfen werden. Erste Untersuchungen in Mosambik, wo 2.000 Kinder unter fünf Jahren geimpft wurden, ergaben einen 50-prozentigen Schutz vor Malaria. Auch in Kumasi sollen in den kommenden drei Jahren kleine Kinder mit RTS,S geimpft werden. Denn vor allem Kinder, die jünger als fünf Jahre sind, sterben insbesondere in Afrika noch immer an Malaria.
„Malaria ist einer der größten Killer in den Entwicklungsländern“, sagt Awa Marie Coll-Seck, Exexutive Secretary der UN-Initiative Roll Back Malaria. „Malaria kostet Afrika jährlich über 12 Milliarden US-Dollar und behindert den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt.“ Jährlich infizieren sich nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin rund 300 bis 500 Millionen Menschen neu mit Malaria. 90 Prozent der Kranken leben auf dem afrikanischen Kontinent. Weltweit sterben pro Jahr 1,5 bis 2,7 Millionen Menschen an Malaria. Die meisten von ihnen wiederum in Afrika – dort stirbt nach Angaben von „Roll Back Malaria“ alle 30 Sekunden ein Kind an der Krankheit.
„In Ghana haben 15 Prozent aller dreimonatigen Kinder den Malariaparasiten schon im Blut“, erklärt May. „Mit einem Jahr hat so gut wie jedes Kind schon eine Infektion gehabt.“ Denn auch der beste Mückenschutz hilft nur bedingt gegen den Stich der Anopheles-Mücke, die Malaria überträgt. „Im Regenmonat Juni“, so erläutert May, „werden die Menschen in Ghana etwa hundertmal von Mücken mit Malariaerregern gestochen.“ Ob mit Hilfe der Impfungen tatsächlich die Todesrate reduziert werden könne, sei noch völlig unklar. Aber natürlich hoffen das alle.
Dass nur Kleinkinder geimpft werden, hat einen Grund. Denn etwa ab dem fünften Lebensjahr erkranken Kinder nur noch sehr selten ernsthaft an der gefährlichsten Art der Malaria, der Malaria tropica. „Erwachsene und ältere Kinder, die in Malariagebieten leben, entwickeln dadurch, dass sie regelmäßig von den Mücken gestochen werden, eine Immunität gegen Malaria“, erläutert May. Afrikaner, die sich für einige Zeit beispielsweise in Deutschland aufhalten und dann zu Besuch in ihre Heimat fahren, verlieren diese Immunität wieder und können erneut an Malaria erkranken. Denn sie werden in Europa nicht regelmäßig von Anopheles gestochen.
Solange keine Impfung die afrikanische Bevölkerung vor der Malaria schützen kann, greifen Mediziner auf die bewährten Medikamente zurück. Doch was ist bewährt bei Malaria? Erst vor einigen Jahren entwickelte die Pharmaindustrie ein neues Medikament auf der Grundlage von Artemisinin. „Dieser Wirkstoff“, so May, „basiert auf Beifuss, also einer Pflanze, die hier auf jeder Verkehrsinsel wächst.“ Allerdings finden sich die wirksamen Artemisinine nur in der chinesischen Pflanze Qinghao, die in China schon seit über 2.000 Jahren als Mittel gegen Malaria benutzt wird. Artemisinin, isoliert eingenommen, ist eine sehr schnell wirkende Medizin, die einen Großteil der Malariaparasiten in kürzester Zeit abtötet. Aber eben nur einen Teil. Daher empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Artemisinin nur in Kombination mit anderen Malariamedikamenten einzunehmen. Diese Kombinationspräparate, ACT genannt, haben neben der starken und schnellen Wirksamkeit noch einen Vorteil: Sie verhindern in ihrer Kombination weitere Resistenzen.
Die WHO warnt denn auch inständig davor, nur Artemisinine zu verabreichen. Anfang des Jahres forderte die Organisation Pharmakonzerne auf, Artemisinin nicht isoliert, sondern nur als ACT-Präparat auf den Markt zu bringen. Denn würden sich Resistenzen gegen Artemisinin entwickeln, so Arati Kochi, Direktor der Malariaabteilung bei der WHO, „dann haben wir die nächsten Jahre kein Medikament mehr, das gegen Malaria hilft.“
In Afrika wird Malaria vorwiegend mit den Medikamenten Chloroquin und Fansida behandelt. Gegen beide Mittel entwickelte der Malariaerreger Resistenzen. In Afrika gibt es noch einzelne Regionen, in denen beide Medikamente wirken. In anderen Regionen leben die Menschen mit dem Risiko nicht wirksamer Arznei. Der einfache Grund für die Medikamentenwahl: „Die Behandlung einer akuten Malaria kostet mit Chloroquin 10 Cent. Ein ACT-Präparat ist teurer als ein Euro“, sagt Jürgen May, „das kann sich in Afrika niemand leisten.“