: „Man kann nichts abzweigen“
Theater im Zeichen der WM: Ein Gespräch mit dem Intendanten des Hamburger Thalia-Theaters, Ulrich Khuon, über Anbiederungsversuche beim Fußball, die Vorliebe der Intellektuellen für Underdog-Vereine und die Symbolik des Kampfes
taz: Ein Bremer Kollegen von Ihnen hat kürzlich gesagt, dass er gut verstehe, warum mehr Leute zu Werder kämen als in sein Theater. Verstehen Sie, warum mehr Leute zum HSV gehen als in Ihr Haus?
Ulrich Khuon, Intendant des Thalia-Theaters: Ich glaube, das ist gar kein so großer Unterschied. Wir hatten im letzten Jahr 300.000 Besucher und der HSV hat wahrscheinlich etwas mehr als doppelt so viel. Aber es liegt nicht so weit auseinander, wie man denkt.
Angesichts der Menge an Fußball-Kulturveranstaltungen gerade auch in Hamburg hat man das Gefühl, dass sich die Kultur zum Trittbrettfahrer der WM macht. Sie selbst haben mit „Kick & Rush“ auch ein Fußballstück im Repertoire.
Genau diesen Vorgang des Trittbrettfahrens empfinde ich als eher heikel. Bei uns ist „Kick & Rush“ ja ein kleines, zartes Stück, das das Gegenteil des Hypes beschreibt: Zwei junge Fußballer, die bei ihrem Dorfverein nicht zum Einsatz kommen. Und das Stück werden wir auch im Rahmen des Programms „Die Welt zu Gast in Deutschland“ zeigen, das sich der Frage stellt, wie wir mit Asylsuchenden umgehen.
Der bereits erwähnte Theaterkollege sagte, dass die Kunst immer ein Stück weiter weg von der Wirklichkeit sei.
Heiner Müller hat einmal gesagt: Entscheidend ist nicht, dass wir live sind, sondern dass wir sterblich sind. Jeder Moment, den wir spielen, könnte der letzte sein. Und ich denke, dass das verbindende Moment ist: Dass beide Künste nicht wiederholbar sind. Der Unterschied liegt für mich eher darin, dass die Symbolik des Kampfes, die sich im Fußballspiel formuliert, dort direkter aufgenommen wird.
Mit dem HSV-Fanprojekt hat das Thalia-Theater über den Kreis der üblichen Theater-Verdächtigen hinausgesehen. Wie war das Echo?
Wir haben das im Rahmen eines größeren Projektes, „Glück in Hamburg“, gemacht, bei dem wir uns stärker auf die Realität in Hamburg einlassen wollten. Und zwar über eine theatralische Recherche, für die es hochinteressant war, diese Parallelwelten zu untersuchen: Von Montag bis Freitag hat man eine Realität und am Wochenende, wenn es zum Fußball geht, eine ganz andere, die auf die Sehnsüchte von Identifikation, von Nähe und Geborgenheit, antwortet. Da ich selbst auch Fan bin, finde ich das eine ganz nachvollziehbare Sache.
HSV-Fan?
Ich bin VFB-Fan. Man wird ja nicht, weil man in eine andere Stadt zieht, plötzlich HSV-Fan.
Die eher intellektuell angehauchten Kreise sind ja sonst mehr für die Underdog-Vereine: SC Freiburg, Mainz 05 oder eben St.Pauli.
Wissen Sie, das sind ja keine kopfgesteuerten Vorgänge. Ich finde St.Pauli natürlich einen reizvollen Club und was da passiert, imponiert mir. Aber ich schmeiße mich denen jetzt nicht, weil es so angesagt ist, an die Brust. Gerade Intellektuelle müssen sich ja nicht immer so verhalten, wie es gerade Mode ist.
Diese demonstrative Begeisterung für Fußball wirkt zugleich wie ein Hinweis auf die Verunsicherung der Intellektuellen – gleich den Geisteswissenschaften, die mit ihrer Begeisterung für die Populärkultur wieder an der Allgemeinheit andocken wollen.
Das wäre verlorene Liebesmühe. Das HSV-Projekt war für uns eine hochinteressante Sache, die wir aber nicht ausgeschlachtet haben, um in diesem Sinn vorwärts zu kommen. Das Theater, die Oper, die Literatur müssen sich selber kräftig machen. Da kann man anderswo nichts abzweigen. Interview: grä