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Archiv-Artikel

Auf dem Weg nach Évora

Weite Ebenen und sanfte Hügel prägen das Alentejo, den Landstrich zwischen Lissabon und der spanischen Grenze. Im Frühling lässt sich die Gegend auch mit dem Fahrrad erkunden

„Wir Knochen warten auf die euren“ steht einladend über dem Eingang der Capela dos Ossos

von GÜNTER ERMLICH

Die Reise beginnt zu Fuß. In Lissabon unterhält uns ein kurzes Hauptstadtprogramm, als Prolog der Radtour. Dann bringt uns die Fähre über den Tejo und ein Kleinbus über die Autobahn in das Land „jenseits des Tejo“ (além-Tejo).

Die Räder, die wir im Dorf Santiago do Secoural in Empfang nehmen, überzeugen auf den ersten Blick: Sieben-Gang-Nabenschaltung, Rücktritt als Notbremse, bruchsichere Edelstahlfelgen. Wir bekommen doppelseitige Gepäcktaschen und Stoffüberzüge für den Sattel. Wir, das sind dreizehn Damen und Herren im besten Alter, zwischen 50 und 70, fünf Ehepaare und drei Singles. Martin und Julia begleiten uns, beide aus Tirol, beide jung und fesch. Martin ist für Radtechnik und Pannenhilfe zuständig, steuert das Begleitfahrzeug mit dem Hänger und bereitet das mittägliche Picknick vor. Und Julia, die Reiseleiterin, bringt uns Landschaft und Kultur nahe. Boa viagem, gute Reise, wünscht uns der alte Mann am Straßenrand und zieht zum Gruß seine Schirmmütze.

207 Kilometer liegen vor uns. 22 Kilometer ist die kürzeste, 43 die längste Tagesetappe. Mit gefühlten 12 Kilometern pro Stunde radelt Julia gemütlich voran. Nach fünf Kilometern die erste Sehenswürdigkeit. Was wie eine Kapelle im Feld steht, ist ein umbautes Dolmengrab aus der Megalithzeit. Leider ist die Tür verschlossen.

Der Alentejo ist ein karges Agrarland, die größte, ärmste und am dünnsten besiedelte Region Portugals; der Alentejaner gilt als hart wie der Boden und die Natur seiner Heimat. Weite Ebenen und sanfte Hügel prägen diesen Landstrich zwischen Lissabon und der spanischen Grenze. Weizenfelder, im Frühling von Mohnblumen rot, wechseln mit erodierten Brachflächen, unter den immergrünen steinalten Korkeichen weiden Rinder- und Schafherden, dazwischen schieben sich Olivenhaine und kleine Weingärten, auch einige Eukalyptuswälder, hässlich anzusehen, aber profitabel für die Papierbarone. Manche Ländereien sind mit Stacheldraht umzäunt und als Jagdzone ausgewiesen.

Évora. Mit 60.000 Einwohnern die Kapitale des Alentejo und Weltkulturerbe der Unesco. Zu der von einer Ringmauer umgebenen mittelalterlichen Altstadt passt das Kopfsteinpflaster, auf dem wir durch die Gassen holpern. Nach 30 Tageskilometern sind wir jetzt reif fürs Kloster. Die Pousada dos Lóios ist ein ehemaliger Konvent aus dem 15. Jahrhundert. Martin hat die Koffer schon in die kühlen, mit Nussbaummobiliar ausgestatteten Mönchszellen gebracht. Deckenfresken und Gobelins, Granittreppen mit Marmorgeländer und blau-weiße Azulejos zieren das Hotel-Kloster. Frisch geduscht dinieren wir im Kerzenschein, der aus schweren Kandelabern die lange Tafel im Kreuzgang erhellt.

Im Zeitraffer rast unsere Stadtführerin durch die bewegte Évora-Geschichte: Auf die Römer folgten die Westgoten, auf die Mauren die Reconquista durch den Raubritter Geraldo Sem-Pavor (Gerhard Ohnefurcht), später kamen spanische Belagerer und französische Invasoren. Vor allem die Capela dos Ossos bleibt im Gedächtnis haften, das Beinhaus des einstigen Franziskaner- Gotteshauses. „Wir Knochen warten auf die euren“ steht einladend über dem Eingang. Drinnen dekorieren 5.000 Knochen und Totenschädel die Wände, Türen und Säulen.

Vom Jenseits wieder auf den Sattel. Meist fahren wir auf verkehrsarmen Nebenstraßen entspannt nebeneinander, und wenn wir mal ein Stück auf einer breiten Landstraße radeln müssen, überholen die wenigen Autos mit dem nötigen Abstand. Wenn wir die Dörfer mit weiß getünchten Häusern durchqueren, schauen uns schwarz gekleidete alte Frauen und Männer neugierig nach. Radfahrer sind im Alentejo eine Rarität.

Für einige Mitradler ist die Portugal-Tour nur eine unter drei, vier Urlaubsreisen im Jahr. Sie sind keine Kilometerfresser, sondern Genussradler, die Sport, Kultur und Bequemlichkeit schätzen. Dazu gehören natürlich auch erstklassige Hotels und Restaurants wie die Pousadas. Nach dem Vorbild der spanischen Paradores verwandelt man in Portugal ehemalige Klöster, Schlösser und Burgen in Luxushotels. Zum Beispiel die blendend weiße Pousada Nossa Senhora da Assunção, die am Fuß des Burgdorfes Arraiolos in einem grünen Tal liegt. Ein Refugium der Stille. Man wandelt im Klostergarten zwischen Beeten mit Kohl und Weinstöcken und trinkt im Innenhof unter Orangenbäumen eine bica, einen portugiesischen Espresso. Der ultramoderne Hoteltrakt, dessen Zimmer mit hellem Holz, Kunstplakaten und Marmorbädern versehen sind, sucht bewusst den Kontrast zur Strenge der alten sakralen Mauern. Besonderen Eindruck hinterlässt die fast völlig mit Azulejos (Fliesen) ausgelegte Klosterkapelle.

Was wir abends in den Pousada-Restaurants in uns reintafeln, können wir tagsüber gar nicht wieder abradeln. Und mittags schmeckt es doppelt so gut, wenn Martin unter dem schattigen Vorbau einer Kirche oder neben einem Brunnen ein opulentes Picknick auftischt: ein Dutzend Schafs- und Ziegenkäsesorten, Chorizo und Serranoschinken, Brot und Wein.

„Ein so weites Land. Ein Mensch kann hier sein Leben lang gehen, ohne sich jemals zu finden, wenn er verloren auf die Welt kam.“ In seinem Roman „Hoffnung im Alentejo“ beschreibt der Literaturnobelpreisträger José Saramago das Schicksal einer Familie von Tagelöhnern unter der Knute des allgewaltigen Patrons. Die Latifundien, die nach der Revolution 1974 von den Landarbeitern besetzt und in Kooperativen umgewandelt wurden, gehören größtenteils längst wieder den alten, neuen Herren.

Davon erzählt uns die ansonsten sattelfeste Reiseleiterin Julia aber nichts, dafür von den Korkeichen beim Stopp unter einem dieser ausladenden Bäume umso mehr. Die weiße Zahl auf dem abgeschälten rostroten Stamm markiere das Jahr der letzten Ernte, erklärt Julia, denn nur alle neun Jahre dürften die Arbeiter mit Äxten die Rinde ablösen. Portugal ist der weltgrößte Korkproduzent. Wie ein gewaltiger Getreidespeicher sieht die historische Pousada Flor de Rosa bei Crato au der Ferne aus. Mauersegler umschwirren die Turmzinnen, auf dem Glockenpfeiler nistet ein Storch. Doch im labyrinthischen Innern des Gebäudes, das früher als Burg, Palast und Kloster diente, dominiert heute die neue Sachlichkeit. Moderne Möbel stehen vor kühlen Granitmauern, aus dem ehemaligen Refektorium wurde eine Designerbar, im Burgturm wurden Zwischenetagen für Zimmer mit umlaufenden Veranden und Holztreppen eingezogen.

„Ich habe heute den Overdrive“, frohlockt Frau Wanner, die drahtige 69-Jährige, als sie am nächsten Tag die anderen spielend überholt. Aber der Ausreißversuch scheitert, weil sie kurz darauf anhält, um in einem Feld violetten Schopflavendel zu pflücken. Stets bleibt genug Muße für Abstecher.

Wie hinter Estremoz in der Quinta do Carmo, in der sich die Domaines Barons de Rothschild (Lafite) mit 55 Prozent einkauften und wo wir ein Gläschen des roten Dom Martinho probieren; oder in der Fabrik Marmores Batanete, wo riesige Marmorblöcke in Scheiben zersägt werden, deren weiß polierte Abfallstückchen wir einstecken.

Am vierten Tag bringt uns ein Kleinbus von der Ebene in die grüne, regenreiche Serra de São Mamede, das letzte Stück wandern wir bergan zum mittelalterlichen Bergdorf Marvão auf 862 Meter Höhe. Im Sommer überrennen Bustouristen die 185 Einwohner, im Frühling und Herbst ist es hier angenehm. Der Blick durch die Panoramascheiben des Pousada-Restaurants betört alle.

Zartrosa versinkt die Sonne hinter der Hügelkette der nahen spanischen Extremadura. Die letzten fünf Kilometer. Spektakulärer kann das Finale kaum sein. Im Sausetempo rollen wir die Serpentinen hinunter zum Tejo. Dr. Haubrich, ein pensionierter Arzt, kommt als Erster ins Ziel. Langsam streift er die Handschuhe ab und übergibt sein Rad Martin. „So, das war’s!“, sagt er und schaut zufrieden aus.

Alle Namen wurden geändert.

Der Reiseveranstalter hat den Autor zu dieser Reise eingeladen. Rotalis bietet die 8-tägige Tour mit Flug ab/bis Frankfurt/München für 1.640 Euro pro Person inkl. Unterkunft und Halbpension an. Rotalis Reisen per Rad, Tel. (0 81 06) 35 91 91, www.rotalis.de