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Archiv-Artikel

Terror: Schichtwechsel

Selbstmordanschlag auf jüdische Siedlung im Westjordanland: Hamas hält den Waffenstillstand ein, die Al-Aksa-Brigaden der Fatah bomben weiter

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Ganze 48 Stunden nach Schließung der israelischen Wahllokale erschüttert ein erneuter Bombenanschlag die Illusion einer Beruhigung. Ein als orthodoxer Jude verkleideter palästinensischer Terrorist hatte in der Nacht zum Freitag den Wagen eines 60-jährigen Ehepaares aus der Siedlung Kedumim bei Nablus gestoppt. Kurz nachdem er eingestiegen war, zündete er den Sprengstoff, tötete sich selbst und die vier anderen Insassen im Auto. Zum ersten Mal seit Beginn der im Februar letzten Jahres vereinbarten Waffenruhe gehört der Täter nicht zum Islamischen Dschihad – der einzigen Gruppe, die eine Phase der Gewaltlosigkeit ablehnte –, sondern zu den Al-Aksa-Brigaden der Fatach, der Partei von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Die israelische Luftwaffe reagierte mit einem Angriff auf den Gaza-Streifen. Ein palästinensischer Extremistenführer starb bei der Explosion seines Autos in Gaza.

Die israelische Regierung hält die Palästinensische Autonomiebehörde für den Anschlag verantwortlich, weil sie „den Boden für terroristische Angriffe bereitet“, so Regierungssprecher David Baker. Der am Dienstag vereidigte neue palästinensische Ministerpräsident Ismail Hanija von der Hamas lehnt eine Auflösung der bewaffneten Widerstandsgruppen ab. „Unser Volk hat das Recht, sich gegen die Besatzung zur Wehr zu setzen“, kommentierte Hamas-Sprecher Sami Abu Suri den Anschlag. „Israel und die täglichen Aggressionen gegen unser Volk“ seien für die neue Gewalt verantwortlich.

In Israel rechnet man mit weiteren Anschlägen der Al-Aksa-Brigaden oder Splittergruppen, während die Hamas, die seit vergangenem Dienstag die Regierung in den Palästinensergebieten stellt, die Waffenruhe vermutlich einhalten wird.

Die neue palästinensische Führung will vorerst versuchen, internationale Anerkennung zu gewinnen, die nicht zuletzt Voraussetzung für eine Fortzahlung der Aufbauhilfe an die Palästinenser ist.

Während Palästinenserpräsident Abbas abstreitet, dass die Al-Aksa-Brigaden seiner Partei angehören, geben Mitglieder der militanten Brigaden offen zu, dass sie von der Fatah kontrolliert werden.

Formiert wurde die bewaffnete Gruppe kurze Zeit nach Beginn der so genannten Al-Aksa-Intifada, im Herbst 2000. Die Mitglieder kamen mehrheitlich von der Tanzim, der Fatah-Jugend im Westjordanland, deren Chef Marwan Barghouti inzwischen zu fünfmal lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt wurde.

In einem Interview mit der liberalen israelischen Tageszeitung Ha’aretz spricht einer der Kämpfer von „40 Mitgliedern“, die zum harten Kern der Gruppe gehören. Handfeste Beweise für die Finanzierung der Kämpfer fand die israelische Armee im Frühjahr 2002 bei Razzien in der Mukataa, dem Amtssitz des damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat. Die Dokumente umfassen handgezeichnete Zahlungsaufforderungen für die Honorierung der Kämpfer und für den Waffenkauf.