: Eine Million Songs
Musikspezialisten und Indiepuristen verachten ihn, auch sind seine letzten beiden Alben nicht die besten. Trotzdem gewann der New Yorker Singer und Songwriter Adam Green am Freitagabend im Tempodrom wieder einmal die Herzen (fast) aller Berliner
VON CHRISTIANE RÖSINGER
An diesem Wochenende hat die Stadt Berlin ihren neuen Sohn Adam Green endgültig adoptiert. Pünktlich zum einjährigen Todestag des letzten Berliner Originals Harald Juhnke drehte die „Berliner Abendschau“ ein Adam-Green-Feature. In der Kreuzberger Eisenbahnmarkthalle vor der Drospafiliale erzählte Green von seiner Urgroßmutter und Kafka-Verlobten Felice Bauer; im Weltrestaurant Markthalle durfte er über Jägermeister als Getränk philosophieren; beim Lustwandeln über die Oberbaumbrücke sprach er über den speziellen Geruch des 11. Septembers in New York. Und abends brachte er das Tempodrom zum Tanzen.
Dort herrschte schon bei den Vorbands, Jeffrey Lewis und Only Son, Kollegen aus New Yorker Antifolkzeiten, eine freundlich-erwartungsvolle Stimmung. Als Adam Green an der Reihe war, wurde eine Leinwand mit seinem Konterfei gehisst, weihevoll-klassische Musik erklang, blaue Lichtkegel tanzten über die Bühne. Doch der pompöse Showbeginn täuschte – Green war ganz der Alte. Er kroch gleich beim ersten Stück auf allen Vieren über die Bühne, vollführte alte und neue Deppentänze, wankte mit seiner betrunkenen Körpersprache am Mikrofon, legte sich gerne hin und zeigte freigiebig immer wieder seine Arschritze, so dass eine ältere Berliner Männerstimme aus dem Publikum forderte: „Jetzt zieh doch mal die Hose hoch!“
Dann setzte er sich wieder in die Bühnendekoration – eine Parkbank neben einer alten Gaslaterne – und sang alle Stücke seiner neuen CD und einige ältere. Er hatte seine alte Band und ein Streichquartett mitgebracht. Und erfreute sein dankbares Publikum mit den alten Stücken, „Bluebirds“, „Jessica Simpson“, „Friends of mine“, und zeigte sich als Entertainer, dessen allzu blöde Witze auch mal ins Leere laufen können, weil er sich nicht anbiedern muss – man liebt ihn sowieso. Nur die Musikspezialisten und Indiepuristen verachten ihn inzwischen, aber was nehmen sie ihm eigentlich übel? Seine Überpräsenz in den Musikpresse? Seine Beliebtheit in Deutschland als Kraut-pleaser, den in den USA keiner kennt? Seinen zugegebenermaßen ziemlich überflüssigen Lyrikband bei Suhrkamp? Wenn zu viele junge Mädchen eine Band gut finden, wendet sich der männliche Indiefan gerne ab. Er unterstellt dieser weiblichen Konsumentengruppe, sie würde rein nach dem Aussehen gehen und von der Musik, die der Indieexperte vor Jahren quasi als Erster entdeckt hat, keine Ahnung haben.
Nun hat in der Geschichte der Popmusik gutes Aussehen wirklich noch nie geschadet, aber Adam Green ist dazu noch lustig, jung, ironiefähig, berechenbar unberechenbar, und all das ist bei uns einfach sehr selten.
Es ist natürlich schade, dass er gerade mit den zwei letzten CDs berühmt geworden ist – es sind leider nicht seine Besten. Im Vorgängeralbum „Gemstones“ wird das harmoniesüchtige Ohr mit hektischen Tempiwechel, einer wahren Zirkusmusik überfordert, und die neue CD „Jacket full of Danger“ ist zwar gesanglich interessant – so richtig gute Songs aber kann man nur mit viel gutem Willen entdecken.
Am Freitagabend ist Adam Green von sich selbst ganz begeistert. Er spielt den Fassungslosen: „Tempodrom!“, sagt er immer wieder, „Tempodrom!“ – „They rise motorcycles here, they show ‚Riders on the Storm‘, they have ‚Queen the Show‘! But tonight it’s my night!“ Und er verspricht eine Million Songs zu spielen. Bei „Emily“ zieht er zwei Mädchen über den Bühnenrand und lässt sich tänzerisch begleiten. Die Mädchen ironisieren ihr Tun wiederum, setzen die Inhalte der Songs pantomimisch um, umgarnen Green und machen ihn zum verehrten Objekt ihres Ausdrucktanzes.
„Two encores in the Tempodrom!“, frohlockt der Sänger nach der ersten Zugabe, und zum Schlusslied „Dance With Me“ holt er sie dann alle auf die Bühne, viele junge Mädchen, aber auch einen jungen und einen ganz und gar ausgewachsenen Mann. Dann stehen alle mit ihm da und wackeln hin und her: „Dance with me, Baby come dance with me.“ Und so gewann Adam Green die Herzen der Berliner. Sie erhoben sich sogar von ihren nummerierten Sitzplätzen und tanzten im Stehen. Es war großartig.