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WAHLWERBUNG Auf der Straße und im Netz, mit Edding oder Photoshop: Die Verfremdung von Plakaten wird zum Volksport. Manche verändern sie zum Spaß, andere verbinden damit eine Botschaft

VON FELIX HÜTTEN UND DINAH RIESE

„Haha, ein Tablet“, sagt ein Angestellter zu seiner jüngeren Kollegin auf einem CDU-Wahlplakat. „Tolles Ding. Kann sogar YouPorn.“ Schwer vorstellbar, dass die CDU tatsächlich ein solches Plakat aufgestellt hat.

Vampirzähne, Hitlerbärte, verfremdete Slogans – Wahlplakate sind vor Kreativität nicht gefeit. Viele lassen mit dem Filzstift ihren Frust ab, manche nutzen ihre künstlerische Ader, um politische Botschaften zu verbreiten. Hinter einigen Neuinterpretationen steckt Strategie.

So wurde in Berlin auf dutzenden Plakaten des Grünen-Direktkandidaten Hans-Christian Ströbele dessen Gesicht durch das des verstorbenen Schauspielers Jopi Heesters ersetzt. Einige Motive liefern eine so gute Vorlage, dass sie immer wieder auf dieselbe Art verfremdet werden. Merkels Slogan „Gemeinsam erfolgreich“, wird mit wenigen Strichen zu „einsam reich“ oder „mein reich“ umgedichtet.

Doch nicht nur in der realen Welt sind die Wahlplakate beliebte Spielwiesen. Die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung bieten noch mehr Freiraum. Merkels aneinandergelegte Fingerspitzen gehören im Netz plötzlich zur skrupellosen Simpsons-Figur Mr Burns.

Auch das besagte YouPorn-Plakat existiert nur im Netz und ist das Werk des Bloggers Floyd. Der gelernte Grafiker fotografiert die Plakate auf der Straße und bearbeitet sie am Computer nach.

Auf seiner Seite fakeblog.de präsentiert der 41-Jährige die umgedichteten Wahlsprüche. „Satire und kleine Nadelstiche sind wichtig, um die Plattitüden der Parteien zu entlarven“, sagt Flyod. „Ich will der Wahlwerbung das Sinnhafte nehmen.“ Bis zu 8.000 Klicks haben Floyds Werke am Tag. Besonders seine umgestalteten CDU-Plakate begeistern viele Internetnutzer. „Die CDU-Werbung eignet sich besonders für Satire“, sagt er. Sie seien im Original schon ziemlich komisch.

Doch einseitige Wahlwerbung will der Blogger nicht machen – seine Plakataktion versteht er als Kritik gegen alle Parteien: „Politik handelt allgemein nicht immer in Sinne der Bevölkerung – also soll sie auch nicht so tun.“ Floyd fehlt bei vielen Parteiplakaten eine Vision. Eine Vision, die er auch in der Politik vermisst: „Wie wollen wir zukünftig als Gesellschaft zusammenleben?“, fragt sich der Blogger und will mit seinen Plakaten ein Signal senden: „Lasst euch politisch nicht hinhalten!“

Der Vorteil der rein digitalen Manipulation: Floyd zerstört keine Plakate und macht sich somit nicht strafbar. Zudem ist die Reichweite seiner Werke im Internet viel größer. „Auf der Straße alleine ist keine Wahl mehr zu gewinnen“, sagt der Blogger. Der öffentliche Raum sei zunehmend das Internet.

Das zeigen auch die Reaktionen auf das Projekt: Auf Facebook und Twitter werden Floyds Plakatmanipulationen geteilt und diskutiert. Mittlerweile hat er einige Fans im Netz, die mehr wollen: Nach Grünen, SPD und CDU können sich neuerdings auch die FDP und Linkspartei über neue Wahlmotive – und damit viel Aufmerksamkeit im Internet freuen.

Die SPD versteht angesichts der Verfremdungsaktionen auf der Straße wenig Spaß. Plakate, die bemalt oder beschädigt sind, werden umgehend ersetzt, so ein Sprecher. Auch die CDU ärgert sich: „Wir finden das alles andere als lustig, wenn Plakate etwa mit Hitlerbärtchen verunstaltet werden.“ Und selbst der Grüne Ströbele ärgert sich: „Begeistert bin ich nicht, aber den Staatsanwalt rufe ich auch nicht an“, sagt er zu der Aktion.

Was die Parteien übersehen: Die kreative Auseinandersetzung mit ihren Plakaten – sei es bösartig, lustig oder kritisch – verschafft ihnen Aufmerksamkeit vor allem junger Menschen, die sich sonst kaum dafür interessieren würden.