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Archiv-Artikel

„Abzocke“ wird beendet, „Drosselung“ darf kommen

MOBILFUNK EU will Telefonate im Ausland ohne Aufpreis. Vorschlag zu Netzneutralität umstritten

BRÜSSEL taz | Europa wird ein „vernetzter Kontinent“ mit superschnellen Datenautobahnen und ohne lästige Roaming-Gebühren. Dies versprach die EU-Kommission am Donnerstag in Brüssel bei der Vorstellung einer neuen Initiative zur Liberalisierung des Telekomsektors. Schon 2014 sollen die Aufschläge für eingehende Gespräche im Ausland wegfallen; 2016 sollen dann auch ausgehende Anrufe ohne Aufpreis möglich sein.

Es sei das bisher größte Gesetzespaket zur Förderung von Arbeit und Wachstum, sagte EU-Kommissarin Neelie Kroes. „Endlich ist ein Ende der Abzocke in Sicht“, freute sich der SPD-Europaabgeordnete Norbert Glante. Von einem neuen Fall der Grenzen – diesmal bei Telefonaten und Mails – sprach die FDP-Expertin Nadja Hirsch.

Doch der Teufel steckt im Detail, auch bei diesem Paket. Zum einen richtet sich der Vorschlag nicht nur an die Verbraucher, sondern auch an die Wirtschaft. Der traditionell wirtschaftsliberal ausgerichteten EU-Kommission geht es vor allem darum, einen einheitlichen Telekommarkt in Europa zu schmieden – und so Amerikanern und Asiaten Paroli zu bieten.

Die Liberalisierung ist also mindestens genauso wichtig wie die Gebührensenkung, die noch nicht einmal verpflichtend ist. Zum anderen enthält der Vorschlag viele kontroverse Punkte, die bei den nun folgenden Beratungen im Ministerrat und im Europaparlament für Streit sorgen dürften. Besonders umstritten ist die Frage der Netzneutralität, also des gleichberechtigten Zugangs zum Internet.

Hier konnte sich die Kommission, die den Vorschlag wegen internes Streits um zwei Tage verschoben hatte, nämlich nicht zu einer klaren Position durchringen. Das Blockieren und Drosseln von Internetinhalten soll zwar verboten werden, so dass jeder Nutzer uneingeschränkten Zugang hat. Doch gleichzeitig will Kroes eine große Ausnahme zulassen: Unternehmen können künftig „Spezialdienste“ mit zugesicherter Qualität wie zum Beispiel HD-Fernsehen, hochauflösende Bilder in der Medizin oder datenintensive Cloud-Anwendungen anbieten, solange dadurch andere Internetkunden nicht eingeschränkt werden.

Die Telekom-Konzerne dürfen für solche Dienste also eine Überholspur im Internet einrichten und dafür eine Extra-Maut verlangen. Doch das steht im Widerspruch zur proklamierten Netzneutralität. Zwar verspricht Kroes unverdrossen „das Ende von Blockaden, von Drosselung und vermindertem Service“. Ihre Reformpläne stärkten das offene Internet, betonte sie gestern in Brüssel.

Kritiker sehen das anders. Kroes streue den Bürgern Sand in die Augen, schimpft der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht. Die eigentlichen Bedrohungen für die Netzneutralität würden nicht ausgeschaltet. So könne die Deutsche Telekom ihre umstrittenen Pläne zur Drosselung der Bandbreite weiter verfolgen. Kroes’ Pläne bedeuteten „das Ende des offenen Internets“, so Albrecht. Ein „Zwei-Klassen-Netz“, fürchtet auch Petra Kammerevert (SPD).

Massive Vorbehalte haben auch die Telekom-Konzerne. Ihnen ist vor allem die Gebührensenkung ein Dorn im Auge, sie drohen mit Investitionsstreik. In Brüssel rechnet man daher jetzt mit einer großen Lobbyschlacht. Dass sie, wie von der EU-Kommission geplant, vor der Europawahl im Mai 2014 beendet sein wird, glaubt kaum jemand. Deshalb werden die Verbraucher wohl auch noch länger auf günstigere Handy- oder Internettarife warten müssen. ERIC BONSE

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