: Jacques Chirac versucht den Spagat
Frankreichs Staatschef setzt das umstrittene Gesetz über den Erstarbeitsvertrag für junge Leute in Kraft. Gleichzeitig verlangt er Abänderungen. Gewerkschaften sowie SchülerInnen und StudentInnen wollen weiterstreiken und das Gesetz ganz kippen
AUS PARIS DOROTHEA HAHN
Von heute an ist die Kinderarbeit in Frankreich wieder legal. Ab dem Alter von 14 Jahren können Kinder, bei denen die Schule versagt hat, in eine Lehre geschickt werden. Ab 15 können sie zur Nachtarbeit eingesetzt werden. Die Bestimmungen gehören zu dem Kampf der Pariser Regierung gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Sie stehen in dem „Gesetz über die Chancengleichheit“, das gestern im Amtsblatt Journal Officiel veröffentlicht wurde.
Am Freitagabend hatte Staatspräsident Jacques Chirac in einer lang erwarteten Ansprache erklärt, das Gesetz trete sofort in Kraft. Zugleich mit der Verkündung des Gesetzes, erklärte er einen Artikel darin für ungültig. Artikel acht, der den Contrat première embauche (CPE) – den umstrittenen Erstarbeitsvertrag – einführt, müsse überarbeitet werden. Chirac verlangt, dass die Kündigungsfrist für unter 26-Jährige von zwei auf ein Jahr gesenkt wird und Unternehmer eine Begründung liefern müssen, wenn sie Beschäftigte während der Probezeit entlassen.
Chiracs Abschlussworte „Vive la France – vive la République“ waren noch nicht verklungen, als in Paris, Lyon, Straßburg, Nantes, Nancy und anderen französischen Städten bereits junge DemonstrantInnen erklärten, ihr Kampf gegen den CPE gehe weiter. Minuten später wiederholten auch SprecherInnen der fünf großen Gewerkschaften, dass sie an ihrem für morgen geplanten neuen Streik- und Demonstrationstag für die „restlose Streichung des CPE“ festhalten.
Der Chef der rechtsliberalen UDF sprach von einem „nie da gewesenen surrealistischen Vorgang, dass ein Gesetz gleichzeitig verkündet und für ungültig erklärt wird“. Tags darauf versammelten sich die Spitzen der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken – von der PS über KPF und Grüne bis zu TrotzkistInnen – am Sitz der KP und erklärten, dass sie auf der Streichung des CPE bestehen. Sie riefen für morgen zu Großdemonstrationen auf.
Nur zwei öffentliche Personen erklärten noch am Freitagabend ihr Einverständnis mit Jacques Chirac: Die Chefin des UnternehmerInnenverbands Medef, Laurence Parisot, und Innenminister, Chef der UMP sowie Anwärter auf Chiracs Nachfolge, Nicolas Sarkozy. Letzterer rief am Wochenende Gewerkschaftschefs und studentische SprecherInnen an, um sie zu Verhandlungen über die Gesetzesänderungen einzuladen. Bruno Juillard, Chef der größten studentischen Gruppe „Unef“, erklärte, dass nicht mehr Regierungschef Dominique de Villepin, sondern der Innenminister sein Ansprechpartner sei.
Regierungschef de Villepin, der das „Gesetz über die Chancengleichheit“ durchgepaukt hatte, betrachtet den Auftritt von Chirac als Rückendeckung für seine Politik. Im Übrigen, so erklärte er gestern dem Journal de Dimanche, sei er „kein Mann, der aufgibt“. Im Parlament bereiten unterdessen die UMP-Abgeordneten ein neues Gesetz vor – mit einem abgeänderten CPE. Die Oppositionspartei PS will ein Gegengesetz vorlegen, dessen erster Artikel lauten soll: „Der CPE ist abgeschafft.“