Siggi Barzani auf Staatsbesuch

„Ich bin kein Abenteurer, kein Verrückter“, sagt Unternehmensberater Siggi Martsch. Im kurdischen Nordirak seien Geschäftsleute sicher„Sicherlich sind die Barzanis in Kurdistan ein Clan, aber das sind die Sozialdemokraten im Westlichen Westfalen doch auch“

AUS DÜSSELDORFMARTIN TEIGELER

Siegfried Martsch ist wieder im Landtag. Der frühere Abgeordnete und Landessprecher der Grünen geht mit schnellen, kräftigen Schritten durch das Foyer des Düsseldorfer Parlaments. Obwohl der korpulente Mann mit der großen schwarzen Tasche vor mehr als sechs Jahren hier aufgehört hat, kennt er sich immer noch gut aus in den langen Fluren und weiten Gängen. „Lange nicht gesehen“, sagt er zu einem der Journalisten, die in der Lobby sitzen und Kaffee trinken. Der Korrespondent lacht, Martsch lacht.

„Ich bin für ein paar Tage in Deutschland“, sagt Martsch. Siggi Martsch ist gewissermaßen auf Staatsbesuch. Seit zwei Jahren leitet der 53-Jährige ein Verbindungsbüro für die deutsche Wirtschaft im Nordirak. Seine Mission: Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und dem Kurdengebiet um die Millionenstadt Erbil, wo der Ex-Parlamentarier eine Dépendance mit dem Namen „Martsch-International – German Business Center“ unterhält. Von dort aus vermittelt er Geschäftsleuten Aufträge.

Im kurdischen Teil Iraks herrschen gemessen an westeuropäischen Standards schlechte Bedingungen, berichtet Martsch. In einer Großstadt wie Erbil gibt es kein fließendes Wasser und keine moderne Stromversorgung. „Und das bei Temperaturen bis zu 55 Grad im Schatten.“ Sein Unternehmen hat deshalb zusammen mit einem Düsseldorfer Ingenieurbüro den Auftrag erhalten, für die Landeshauptstadt von Irak-Kurdistan die Planung für ein Abwassersystem zu erstellen. „Erbil soll ein modernes Abwassersystem erhalten“, lautet die Vision von Martsch. Er redet ausführlich und schnell, dann macht er kurze Pausen und lacht listig.

Nach der einjährigen Planungsphase des Abwassersystems wird mit einer Bauzeit von fünf bis zehn Jahren gerechnet. Fette Aufträge winken auch deutschen Unternehmen. Doch nicht wenige Firmen sind ängstlich. „Provinziell“, nennt Martsch das Verhalten einiger deutscher Unternehmer. Dabei sei die Sicherheit in der Region gewährleistet. Anders als im Zentralirak, wo der Aufstand gegen die Besatzungsmacht USA weiter geht, sei die Lage um die Stadt Erbil ruhig und geschäftsfreundlich. Sonst wäre er auch längst wieder weg. „Ich bin kein Abenteurer, kein Verrückter“, sagt Martsch. „Die Deutschen verschlafen gerade die Entwicklung, man muss jetzt im Irak investieren“, sagt er. Das ist seine Sorge, darum macht er in Düsseldorf Lobbyarbeit für den kurdischen Nordirak.

„In Erbil heiße ich nur Siggi Barzani“, sagt Siggi Martsch. Mit Masud Barzani, dem Präsidenten der Kurdischen Autonomen Region im Irak, ist er befreundet. Auf seiner Internetseite stehen Fotos mit Barzani. Auf einem sitzen Barzani und Martsch nebeneinander. Beide tragen Turban. „Sicher, der Name Barzani öffnet im Nordirak Türen“, sagt Martsch. Als „Siggi Barzani“ sei er in den Clan des Kurdenführers aufgenommen worden. „Sicherlich ist das ein Clan, die Barzanis, aber die SPD im Westlichen Westfalen ist doch auch ein Clan“, sagt Martsch. Er lacht wieder und rutscht vor an den Rand seines Ledersessels. Jetzt sitzt er aufrecht und redet ab und zu mit erhobenem Zeigefinger: „In der Politik kann man nichts werden ohne Clan, ohne eine Gruppe, die einen stützt.“

Barzani habe im Nordirak demokratische Verhältnisse geschaffen. Im kurdischen Regionalparlament werde eine 25-prozentige Frauenquote eingehalten. Neulich habe er beobachtet, wie in Erbil eine Demonstration der radikalen PKK friedlich über die Bühne ging. „Das wäre in Deutschland gar nicht erlaubt, eine PKK-Demo“, sagt Martsch. Er wolle nichts schön reden, es gebe gewiss noch Defizite in der kurdischen Demokratie – aber die gebe es in Deutschland zuweilen auch. Martsch gibt sich als Freund der Kurden. Kontakt zu ihnen halte er seit Jahrzehnten, seit seiner Zeit als Grünen-Politiker. Damals in Nordrhein-Westfalen.

Sonntag, 13. Mai 1990. An diesem Tag zieht der Nebenerwerbslandwirt und Hausmann Siegfried Martsch aus dem münsterländischen Borken für die Grünen ins NRW-Parlament ein. Nach Jahren der außerparlamentarischen Opposition legt die Ökopartei eine Punktlandung hin: 5,0 Prozent. Am Wahlabend sitzt der grüne Landessprecher Siggi Martsch in der Düsseldorfer TV-Runde des WDR. Ein bizarres Bild: Der damals schon sehr kräftige Martsch lacht aufgedreht in die Fernsehkameras und hält ein grünes Reklameschild über dem Kopf hoch. Die Politiker der etablierten Parteien schauen irritiert.

Siggi Martsch erinnert sich gut an den Wahlabend. „Ich habe gesagt: Jetzt schlagen wir ein neues Kapitel in der Parlamentsgeschichte dieses Landes auf“, erzählt er. Da sei ihm der damalige SPD-Ministerpräsident Johannes Rau ins Wort gefallen und habe gesagt: „Von wegen Kapitel, das wird nur eine Fußnote“. Es ist anders gekommen. Zu Rau habe er dennoch ein „wirklich gutes Verhältnis“ entwickelt.

Zehn Jahre lang sitzt Martsch im Parlament. Die taz nennt das Ex-Mitglied einer maoistischen K-Gruppe einmal einen „linken Populisten, der die grüne Seele kennt“. Die bürgerliche Presse macht Scherze über den kräftigen Martsch, nachdem er vom Parlamentspräsidenten gerügt wurde, weil er in Hemd und Hosenträgern zu den Abgeordneten sprach. Schon Anfang der 1990er bekam er zuweilen Ärger wegen seines Kurdistan-Engagements. 1991 wird er kritisiert, weil er sich angeblich zu sehr um ein Aufbauprojekt der Schweizer Caritas für die kurdischen Flüchtlinge im Norden des Iraks gekümmert und wochenlang an keiner Landtagssitzung mehr teilgenommen habe.

Nachdem er im Jahr 2000 keinen sicheren Listenplatz für die NRW-Wahl mehr bekommt, hört Martsch „komplett“ mit der Politik auf: „Ich wollte nicht der alte Bauer sein, der den Hof nicht freigeben will.“ Jetzt widmet er sich ganz seiner Auslandsarbeit. „Ich bin immer noch Mitglied bei den Grünen. Das werde ich auch bleiben“, sagt Martsch. Auch wenn er die Politik seiner Partei nicht immer verstehe. Dass sich Joschka Fischer und Rot-Grün auch nach dem Irakkrieg weiter so distanziert gegenüber der jungen Demokratie Irak verhalten hätten, findet er falsch: „Auch jetzt bewegt sich noch zu wenig, dabei dachte man, mit Angela Merkel wird das anders.“ Dabei sei die Bundesrepublik der „Wunschpartner Nummer Eins“ in seiner neuen Heimat.

Deutschland ist ihm ein wenig fremd geworden, die selbstquälerischen Debatten um das angebliche „Aussterben“ der Deutschen etwa findet er reichlich schrullig. „Ich lebe in zwei unterschiedlichen Welten. Zuhause bin ich nirgendwo so richtig. In Deutschland bin ich nicht nur physisch, sondern auch emotional nicht mehr richtig zuhause“, sagt Martsch. Obwohl hier seine Frau lebt mit den zwei jüngeren Söhnen. Der älteste, bald 27-jährige Sohn, hilft ihm bei den Geschäften im Nordirak.

Martsch muss schnell weiter. Termine. Im Schlepptau hat er einen jungen Assistenten und einen kleinen älteren Herrn dabei. Es ist der Rektor der Universität Erbil. Während Martsch im Landtagsfoyer sitzt und über Deutschland, Irak und Kurdistan spricht, lässt sich der Wissenschaftler aus dem Irak das nordrhein-westfälische Parlament zeigen. Still und konzentriert steht der Rektor vor den großen modernen Kunstwerken, die an den Landtagswänden hängen.

Gerade hat Martsch Michael Vesper getroffen, seinen alten grünen Parteifreund. Vesper war bis zur rot-grünen Wahlniederlage im vergangenen Jahr Minister in NRW. Für Städtebau, Wohnen, Kultur und Sport. Jetzt ist er immer noch ein wichtiger Mann: Landtags-Vizepräsident. „Ein gutes Gespräch“, sagt Martsch etwas kurzatmig. Mehr sagt er nicht und hetzt weiter zum nächsten Termin. Letzte Frage. Was er verdient mit seinen Beraterjobs? „Ich werde nicht reich. Ich lebe eher von der Hand in den Mund.“ Dennoch will Siggi Martsch im Irak bleiben. Für ein paar Jahre auf jeden Fall.