„Ich fremdle noch im Bundestag“

Seit vergangenem Herbst sitzt der 67-jährige Hamburger Völkerrechtler und ehemalige Hochschulprofessor Norman Paech für die Linkspartei im Bundestag. Mit der taz sprach der Parteilose über Fremdheit und Fusionspläne, Lafontaine und Linkspopulismus

„Vollblut-Politiker wie Gysi und Lafontaine brauchen täglich die Öffentlichkeit. Sonst gehen sie ein. Da muss es täglich knallen.“

Interview:Marco Carini

taz: Herr Paech, wie fühlen Sie sich als Bundestagsnovize?

Norman Paech: Ich fremdle noch. Der Sprung von der Uni in den Bundestag ist der Sprung in ein völlig anderes Milieu.

Noch gar nicht eingelebt?

Ich will mich hier nicht einleben oder heimisch fühlen. Sich heimisch zu fühlen im Raumschiff Bundestag halte ich für Gift. Man kreist hier umeinander und verliert leicht das Gefühl dafür, was im Lande passiert. Deshalb will ich kritische Distanz bewahren zu dem, was ich hier tue.

Lässt sich das durchhalten?

Sicher nicht länger als maximal vier Jahre. Im zweiten Turn sind die Leute geliefert. Spätestens dann tritt ein Anpassungsverhalten ein, das destruktiv für eine kritische Persönlichkeit ist. Deshalb bin ich ein starker Befürworter des Rotationsprinzips, das die Grünen einmal hatten. Seine Vorteile überwiegen den Nachteil, dass man sich immer wieder neu einarbeiten muss.

Unterscheidet sich Ihre neu erworbene Innensicht des Bundestages von Ihrer Außensicht?

Ich will ein Beispiel geben für das, was sich verändert hat: Früher war ich davon überzeugt, das ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss nichts anderes ist als ein ritualisiertes Begräbnis eines Problems. In Berlin musste ich dann feststellen: Auf zentrale Fragen etwa bei dem Thema, welche Rolle der Bundesnachrichtendienst im Irak-Krieg gespielt hat, bekommen wir von dieser Regierung keine Antworten. Da bleibt uns nichts anderes übrig als ein Untersuchungsausschuss. Ich muss also etwas einfordern, von dem ich nie überzeugt war.

Doch allein die Tatsache, das wir mit einem solchen Ausschuss eine Sache am Kochen halten, gibt die Chance, dass aus den Lecks in der Geheimnisküche über die Medien neue Informationen an die Öffentlichkeit dringen. Alles Wichtige zu diesem Thema haben wir bisher nur aus der Presse erfahren.

Haben Sie nach einem halben Jahr das Gefühl, in Berlin etwas bewegen zu können?

Lange Zeit hatte ich dieses Gefühl nicht. Denn natürlich wird jeder unserer Anträge abgelehnt. Aber wir bringen Diskussionen und Thesen in das Parlament und seine Ausschüsse ein, die es dort bisher nicht gab. In meinem Bereich ist das etwa beim Iran-Atom-Konflikt oder der Haltung zu den Wahlen in Palästina so gewesen. Anhand dieser kleinen Veränderungen versuche ich mir vorzumachen: Es hat einen Sinn.

Etwas genauer, bitte.

Ein Beispiel ist die Veränderung der Haltung des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), gegenüber dem Iran. Polenz hat zuerst die amerikanische Position vertreten, sagt inzwischen aber: Die USA müssen sich bewegen und mit dem Iran verhandeln. Diese neue Botschaft ist auch ein Reflex auf die außerordentlich strittigen Diskussionen, die wir im Ausschuss angezettelt haben. Dabei sitzt die Linke einer ganz großen Koalition gegenüber, die von CDU, FDP über die SPD bis zu den Grünen reicht.

Wie gehen die Kollegen der anderen Fraktionen mit der Linkspartei um – überwiegt Ausgrenzung oder die Kumpanei der Raumschiffinsassen?

Es überwiegt die Ausgrenzung. Wir werden mit formalen Tricks ausgebremst, wo es nur geht.

Wann hatten Sie am stärksten das Gefühl: „Mein Schritt in den Bundestag war richtig?“

Beim Konflikt um Palästina und die Hamas bin ich im Auswärtigen Ausschuss der Einzige, der ganz eindeutig sagt: Das Ergebnis der demokratischen Wahl, die wir ja gewollt haben, müssen wir anerkennen. Die Opposition gegen die PLO vor 20 Jahren ist ja mit der Haltung gegenüber der Hamas heute durchaus vergleichbar. Da muss dazugelernt werden.

Am Anfang wurde diese Position gerade von den Grünen mit Empörung zurückgewiesen, und ich wurde sogar mit dem Rechtsextremisten Horst Mahler verglichen. Inzwischen gibt es einen Austausch darüber. Wir können nichts entscheiden, aber Positionen in den Bundestag tragen, die dort sonst nicht vertreten wären. Wenn ich solche Prozesse erlebe, habe ich das Gefühl, es war sinnvoll, meinen Schreibtisch nach Berlin zu verlegen.

Und was war der Punkt, wo Sie Ihren Schritt am meisten in Frage gestellt haben?

Es ist unendlich mühsam, in den Medien überhaupt mal mit einer Position erwähnt zu werden. Bei der Frage des Bundeswehreinsatzes im Kongo werden die Thesen von CDU, SPD und Grünen, die alle für einen Einsatz plädieren, breitgetreten. Warum wir Nein zu diesem Einsatz sagen, wird höchstens im „Neuen Deutschland“ erwähnt. Da frage ich mich schon: Muss ich mir das wirklich antun?

Welche Ziele haben Sie sich in ihrer Arbeit für die kommenden Monaten gesetzt?

Es geht mir darum, unsere Position zu den Krisenherden im Nahen und Mittleren Osten noch weiter zu präzisieren und öffentlich zu machen: Eine Position, die auf Dialog, Zusammenarbeit und Achtung setzt. Wir müssen lernen, dass man auch politischen Gegnern nicht mit einer imperialen Arroganz begegnen darf. Das ist das Grundanliegen einer Außenpolitik der Linken.

Kommen wir zur Linkspartei: Wie empfinden Sie die Diskussionskultur in der Fraktion?

Überraschend gut. Innerhalb der Fraktion werden auch strittige Themen sehr offen diskutiert.

Die „harten Konflikte und Zerreißproben“, die Sie in der neuen Fraktion erwartet haben, sind ausgeblieben?

Es gibt einen ausgesprochen wohl tuenden Umgang mit gegensätzlichen Positionen, so dass auch nach einer Abstimmungsniederlage keiner von uns mit Verletzungen oder dem Gefühl, gebügelt worden zu sein, aus einer Debatte herausgeht. Das ist auch ein Verdienst von Gysi und Lafontaine, die ein Klima befördern, das wenig harsch und hierarchisch ist. Von den alten Füchsen des Parlamentarismus kann man sehr viel darüber lernen, wie man mit solchen Konflikten umgeht.

Apropos Gysi und Lafontaine: Sie haben so gar nichts Populistisches – wie kommen Sie mit diesen beiden und ihren markigen Parolen klar?

Ich sehe die Erfolge, die die beiden haben. Meine anfängliche Skepsis ist an diesem Punkt deshalb einer sehr weitgehenden Zustimmung gewichen. Das gilt selbst, wenn Lafontaine andere als „Schweinebande“ bezeichnet. Wenn ich sehe, mit was für Ausdrücken wir im Bundestag überzogen werden, ist das offensichtlich der Stil in der Politik.

Aber sicher nicht der Ihre.

Es ist ein Stil, der mir leider ganz abgeht. Als Wissenschaftler kann ich längere Zeit ohne Öffentlichkeit auskommen. Vollblut-Politiker wie Gysi und Lafontaine aber brauchen täglich die Öffentlichkeit. Sonst gehen sie ein. Da muss es täglich knallen, und das beherrschen die beiden Herren virtuos. Wenn das auf der Basis einer politischen Position ist, die ich teile, ist das für mich vollkommen okay.

Im Wahlkampf haben Sie Lafontaine harsch wegen seiner nationalistisch daherkommenden Parole von den Fremdarbeitern und seiner Auffassung, Folter müsse in bestimmten Fällen für den Staat erlaubt sein, kritisiert. Sie wollten mit ihm dringend darüber diskutieren. Wie waren die Gespräche?

Ich muss leider zugeben, das ich dazu noch nicht gekommen bin, weil einfach die Zeit fehlte und diese Themen in unser Arbeit keine Rolle gespielt haben. Zum Thema Folter haben wir in der Fraktion die eindeutige Position entwickelt, dass es von der strikten Ablehnung jeder Form von Folter überhaupt keine Ausnahme gegeben kann: Lafontaine hat sich dieser Position ohne Wenn und Aber angeschlossen. Deshalb gibt es an diesem Punkt für mich nichts mehr zu klären.

Die Debatte um die Fusion und ihren Zeitplan droht vor allem die WASG zu zerreißen. Der Prozess, dass in der Linkspartei nichts von unten zusammenwächst, sondern alles von oben bestimmt wird, setzt sich fort.

Meine Wahrnehmung ist eine andere. Auf Veranstaltungen der WASG oder der PDS sehe ich immer wieder, dass gerade an der Basis die Erkenntnis herrscht: Wir müssen zusammenwachsen – unsere Zukunft ist nur gesichert wenn wir eine gemeinsame Partei werden. Natürlich gibt es, wie Berlin zeigt, auch spalterische Gegentendenzen. Aber an der Basis spielt es kaum eine Rolle, was unsere großen Politpaviane über die Fusion denken.

Dort gibt es aber Kritik am engen Fusions-Zeitplan.

Ich bin von der heilsamen Wirkung dieses Drucks überzeugt und der festen Meinung, dass wir das angestrebte Fusions-Datum, den Sommer 2007, einhalten sollten. Unter den Linken ist der Bazillus der Fraktionierung ja traditionell weit verbreitet. Wir müssen aber aufhören, jeden Nebenschauplatz zur Hauptbühne zu machen.

Wo sollte die Linkspartei am Ende der Legislatur stehen ?

Das Hauptziel ist: Es muss eine neue Linkspartei geben, die so breit angelegt ist, dass sich weite Kreise der Linken von ihr vertreten fühlen. Ohne eine solche Partei hängt die Bundestagsfraktion in der Luft. Und diese Partei muss hin in Richtung Staatstätigkeit handlungsfähig sein.

Die Linke am Kabinettstisch?

Wir müssen uns jetzt in der Opposition entwickeln und als eigenständige linke Kraft etablieren. Die Frage einer Regierungsbeteiligung stellt sich derzeit überhaupt nicht. Ich bin mittelfristig offen für jede Koalition, die nicht an unserer politischen Substanz kratzt. Wir dürfen aber nicht den Weg der Grünen gehen – das wäre unser Ende.

Die Linkspartei erscheint als sehr traditionalistischer, gewerkschaftsorganisierter Zusammenschluss: wenig bunt, wenig antiautoritär und wenig ökologisch. Kann sich das Spektrum noch verändern oder wird die Linkspartei auf Dauer nur einen sehr begrenzten Ausschnitt der Linken repräsentieren?

Wir sind sicher nicht das Spiegelbild der linken Bewegung. WASG wie auch die PDS haben Defizite in zentralen Bereichen der Politik. Die müssen ganz eindeutig angegangen werden. Das ökologische Element ist in der Tat unterbelichtet. Das antiautoritäre Merkmal ist aus der Gesellschaft zwar fast wieder verschwunden, aber in einzelnen linken Bewegungen sicher noch deutlich stärker als in unserer Partei. Und in der WASG ist der internationalistische Bereich unterrepräsentiert. Wir müssen uns deshalb noch weiter öffnen und bunter werden.

Klar aber ist auch: Die gewerkschaftliche Orientierung der Partei wird wohl immer eine tragende Säule der Linkspartei bleiben. Und das ist in einer Zeit, in der die Gewerkschaften einem starkem Druck ausgesetzt sind, auch richtig so.