: Hohe Löhne sind nicht der Tod
Die IG Metall weitet ihre Warnstreiks aus. Trotz Werkschließungen lässt sie sich nicht von ihrer Forderung nach 5 Prozent mehr Lohn abbringen. Begründung: Der Branche gehe es immer besser
von RICHARD ROTHER
Die IG Metall weitet ihre Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie aus: Mit einem Sternmarsch durch Reinickendorf demonstrierten gestern mehr als 800 Beschäftigte von fünf Betrieben für ihre Forderungen. Es war der vierte Tag in Berlin, an dem Metaller in der laufenden Tarifrunde in einen befristeten Streik traten. Für heute ist ein Autokorso geplant. Mitarbeiter von vier Unternehmen wollen sich daran beteiligen. Die IG Metall fordert für die 63.000 Beschäftigten der Region 5 Prozent mehr Lohn. Zudem will sie tarifvertragliche Regelungen zur Weiterbildung durchsetzen.
Auf den ersten Blick ist die Politik der Gewerkschaften unverständlich: Da macht ein Werk nach dem anderen dicht, und die IG Metall mobilisiert täglich kräftig zu Warnstreiks, um deutlich höhere Löhne durchzusetzen. Der vermeintliche Widerspruch lässt sich auflösen: Insgesamt geht es der Metallbranche der Region immer besser – und die Werkschließungen sind Folge von strategischen Entscheidungen der Konzernleitungen. Vermutlich hätte nicht einmal ein Lohnverzicht von 20 Prozent Samsung, JVC und CNH zum Hierbleiben bewegen können.
Die IG Metall begründet ihre Forderung mit einem Nachholbedarf, dem Inflationsausgleich und einem bundesweiten Produktivitätsfortschritt von 2 Prozent. „Würden wir die steigende Produktivität der Region heranziehen, ließen sich noch ganz andere Forderung begründen“, so IG-Metall-Sprecher Bernd Kruppa. „Der Branche geht es gut.“ Ein Blick auf große Betriebe im Westen oder Süden der Stadt zeige dies. Zudem gebe es für Betriebe die Möglichkeit, vom Tarifvertrag abzuweichen, wenn es ihnen schlecht gehe – aber nur mit Zustimmung der Gewerkschaften. „Wenn wir den Betrieben diese Entscheidung überließen, wären die Belegschaften noch mehr erpressbar.“
Wie passen da die Werkschließungen ins Bild? Von schlechten Einzelbeispielen könne man nicht auf die gesamte Branche schließen, sagt Kruppa. Zudem sei fraglich, ob die Tarifsituation überhaupt eine Rolle bei den Schließungsentscheidungen gespielt habe. Bei Samsung und CNH sind die Fragezeichen durchaus angebracht: Samsung machte das Schöneweider Bildröhrenwerk dicht, weil keine Bildröhren mehr produziert werden sollen. Das CNH-Werk in Spandau schreibt sogar schwarze Zahlen – mit zu hohen Löhnen wäre dies gar nicht möglich.