: „Manche Leute rennen immer gleich zu den Piranhas“
100 JAHRE ZOO-AQUARIUM Viele Fische leben in Gefangenschaft stressfreier als in der Natur, sagt Tierphysiologe Stefan Karl Hetz. Ein Gespräch über Gefühle, Schwärme und Mythen
■ 51, ist promovierter Biologe, Tierphysiologe und Präsident des Verbands Deutscher Vereine für Aquarien- und Terrarienkunde (VDA). Zurzeit forscht er an der Humboldt-Universität über Tierschutzaspekte bei der Haltung von Aquarienfischen.
INTERVIEW SUSANNE MEMARNIA
taz: Herr Hetz, haben Fische Gefühle?
Stefan Karl Hetz: Das kommt auf die Definition an. Wenn Sie darunter Aggression und Ähnliches verstehen, das haben Fische auch. Auch Brutpflegeverhalten könnte man im weitesten Sinne als Gefühl bezeichnen.
Merken Fische, dass sie angeguckt werden im Aquarium?
Ja, die gucken zurück. Ich habe Buntbarsche, die merken deutlich, wenn ich den Raum betrete. Wenn sie Junge haben, kommen sie an die Scheibe und drohen mich an, weil sie mich als Feind sehen. Sie stellen die Kiemendeckel auf und versuchen ihre Jungen zu verstecken. Aber ich würde das eher als Verhaltensweise bezeichnen, nicht als Gefühl.
Bei vielen Tierarten wird diskutiert, ob man sie artgerecht halten kann – etwa Wildkatzen. Wie ist das bei Fischen?
Als ich in den 70ern mit Aquarienhaltung angefangen habe, hieß es bei vielen Tieren: noch nicht gezüchtet, die Haltung klappt nicht, die überleben nur ein halbes Jahr. Aber was vor 40 Jahren als unhaltbar galt, wird heute vielfach gezüchtet. Wissen und Technik haben sich weiterentwickelt, die Aquarien werden größer, es gibt besseres Futter. Vor 20 Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, Walhaie zu halten. Mittlerweile gibt es sie schon in großen Schauaquarien.
Und die vermehren sich auch in Gefangenschaft?
Natürlich nicht. Aber nehmen Sie das Zoo-Aquarium mit seiner Quallenhaltung. Da dachte man vor 20 Jahren auch, die Quallen muss man nach fünf Tagen auswechseln. Heute leben sie sehr lange und werden sogar nachgezüchtet. Im Keller züchtet das Aquarium auch Seepferdchen oder Anemonenfische nach.
Ist es denn ein Indikator für Wohlbefinden, wenn sich ein Tier in Gefangenschaft vermehrt?
Ich denke, ja. Mit Wohlbefinden ist es zwar so eine Sache, da sind wir wieder bei den Gefühlen. Sagen wir, der Fisch braucht ein artgerecht ausgestattetes, genügend großes Aquarium. Dazu kommt, dass das natürliche Verhalten für viele Fische sehr viel stressiger ist als in Gefangenschaft. Ich habe selber mal Fische in den Tropen gefangen, denen fehlten oft Flossen oder ein Auge. Die Gefahren durch Fressfeinde hat man ja im Aquarium nicht. Aber man muss wissen, dass es über das Verhalten in der Natur wenige Untersuchungen gibt.
Aber im Aquarium verhalten sich Fische schon anders als in Freiheit, oder?
Ja, das merkt man. Nehmen Sie den Neonfisch. Der wird noch oft aus der Natur gefangen. Wenn ich einen in Südamerika gefangenen Schwarm von 50 Neons in ein Aquarium setze, sind die Fische die ersten zwei Tage immer eng zusammen, ducken sich in die Ecken. Dann fangen sie an, das Aquarium zu erkunden, sie sind nicht mehr im Schwarm. Das Schwarmverhalten ist vor allem ein Schutz vor Fressfeinden und hört im Aquarium auf.
Es gibt keine Schwärme im Aquarium?
Nein. Das wäre wohl nur in einem sehr, sehr großen Aquarium machbar, in dem auch die ganze Struktur mit Fressfeinden nachgebaut würde.
Was ist eigentlich der Sinn von öffentlichen Aquarien? Volksbildung und Erhalt der Artenvielfalt wie bei Zoos?
Im Prinzip, ja. Die Biodiversität zu sehen, ist für mich als Besucher ein wichtiger Punkt. Bei Fischen gibt es die verrücktesten Sachen: im Zoo-Aquarium etwa die Vieraugenfische, die über Wasser gleich gut gucken können wie darunter. Solche faszinierenden Dinge kann ich nur im Aquarium kennenlernen. Insofern haben diese Einrichtungen Bildungscharakter. Aber es gibt auch Leute, die rennen immer gleich zu den Piranhas. Wobei die Sensationslust im Aquarium nur teilweise befriedigt wird. Die Piranhas bekommen ja keine lebenden Säugetiere als Futter.
Sind denn Piranhas wirklich so gefährlich? Es soll Indigene geben, die mit ihnen schwimmen.
Hab ich auch gemacht, in Bolivien. Piranhas sind sehr scheu, ich habe unter Wasser keine Aufnahmen machen können. Man kann allerdings hören, wenn sie einen androhen. Aber wissen Sie, woher das Gerücht von den gefährlichen Piranhas kommt?
Nein …
■ Am Montag werden im Zoo-Aquarium an der Budapester Straße die Preise im Wettbewerb „In den Wassern unserer Erde“ verliehen. 2.800 SchülerInnen haben zum 100. Geburtstag des Aquariums Geschichten erfunden.
■ Das 1913 eröffnete Aquarium wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, wiederaufgebaut und erweitert. Heute ist es eine der artenreichsten Einrichtungen weltweit. Neben Meeres- und Süßwasserfischen zeigt es auch Wirbellose, Amphibien, Reptilien (Krokodile!), Insekten und Spinnen.
■ Bei Kindern beliebt ist das Koi-Becken im Eingangsbereich. Die Zierkarpfen lassen sich streicheln, was sie dabei fühlen, ist nicht bekannt (s. Interview). (taz)
Von Theodore Roosevelt. Der war passionierter Großwildjäger und schrieb ein Buch namens „Through the Brazilian Wilderness“. Als er in Brasilien war, wollten ihm die Leute was bieten, haben eine größere Lagune abgetrennt und viele Piranhas reingesetzt. Sie haben sie wohl wochenlang hungern lassen und dann eine verletzte Kuh hineingetrieben, um die Sensationslust des großen Jägers zu befriedigen. So entstehen Legenden.
Essen Sie eigentlich Fisch?
Einheimischen Fisch mit gutem Gewissen. Forelle zum Beispiel, wenn sie nicht aus Massenhaltung kommt und richtig gefüttert wird, ist sicher nachhaltig. Oder Karpfen.
Der schmeckt bloß nicht.
Vielleicht nicht so wie ein Meeresfisch. Aber wie die oftmals gefangen werden, das geht eigentlich gar nicht.