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Archiv-Artikel

Wer kommt hier wo an?

Die neuen Alben von Fehlfarben, S.Y.P.H. und Britta spielen drei Modelle durch, wie sich im Pop älter werden lässt: der Kompromiss der späten Tage, die Sonderlinge, Freud und Leid der Prekarität. Ein Seitenblick auf die Bürgerlichkeitsdebatte

„Rechnen, krebsen, wursteln, durchschlagen, nur ganz selten kommt’s da mal zu Champagner, Kokain“, singen Britta

VON KLAUS WALTER

In dieser Zeitung findet seit einigen Wochen eine so genannte Debatte um die so genannte Neue Bürgerlichkeit statt. Man kann nicht behaupten, dass die Debatte tobt, sie plätschert so dahin. Als Illustration werden häufig Szenen aus linken Vergangenheiten gewählt, zuletzt das Foto einer taz-Redaktionskonferenz aus den Achtzigern. Der Konferenztisch lang und schmal, die daran Sitzenden schmal und langhaarig. Über dem Kopfende ein Graffito: „In jeder Imbißstube ein Spion“, eine Zeile aus einem Song, den sowohl die Fehlfarben als auch die Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF) mal aufgenommen hatte. „Kebabträume“ heißt er bei DAF und spielt einen deutsch-deutschen Albtraum durch: die Übernahme der DDR durch die Türkei. „Im ZK Agent aus Türkei, Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei. Wir sind die Türken von morgen.“ Bei den Fehlfarben heißt der Song „Militürk“ und ist erschienen auf dem Album „Monarchie und Alltag“, das ich mir 1980 gekauft und für die taz besprochen habe, restlos begeistert wie wir alle damals. Wir? Ja, „Monarchie und Alltag“ stiftete für kurze Zeit ein Wir, obwohl (oder weil) es ein Abgesang war auf die verlorenen Punkkriege: „Und wir tanzten bis zum Ende zum Herzschlag der besten Musik, wir dachten schon das ist der Sieg, das war vor Jahren.“ Dann mussten die Fehlfarben mit ansehen, wie ihr bekanntester Song von Leuten kooptiert wird, gegen die sie eigentlich angetreten waren. „Es geht voran“ wurde zur Hymne von Ökopax-Hippies.

26 Jahre später erscheint ein neues Album der Fehlfarben. „26 1/2“ (V2 Records/Rough Trade) heißt es kokett, nach dem Alter der Band. Die alten Lieder werden noch mal gesungen, diesmal von prominenten Gästen und alten Kumpels. Campino, Sven Regener und Helge Schneider, Grönemeyer, Distelmeyer, Lohmeyer (der Schauspieler). Das schafft Aufmerksamkeit. Auch Harry Rag ist dabei, und der Zufall will es, dass von seiner Band S.Y.P.H. dieser Tage ebenfalls ein neues Album herauskommt. S.Y.P.H. waren Zeit- und Weggenossen von Fehlfarben, DAF und Campino, schlag nach unter „Verschwende Deine Jugend“.

Christiane Rösinger schreibt für diese Zeitung, sie ist ein paar Jahre jünger als die Herren von Fehlfarben und S.Y.P.H. und hat in den Neunzigern gemeinsam mit Almut Klotz und wechselnden Gitarrenmännern als Lassie Singers Lieder gesungen, die für ihre Zeit- & Subkultur-GenossInnen so wirklichkeitshaltig und lebensrelevant waren wie „Militürk“ oder „Paul ist tot“ für die Vorgängergeneration. Bei den Lassie Singers trommelte Britta Neander mit, nach deren Ende wurde sie Namensgeberin der Nachfolgeband. Auch von Britta gibt es ein neues Album, dabei ist Britta Neander tot, im Dezember 2004 nach einer Herzoperation gestorben.

Die Debatte um die Neue Bürgerlichkeit wird meist im Modus des Coming of Age geführt. Entweder als Krisenerzählung, dann werden Symptome der Verbürgerlichung ausgespielt gegen das bessere Früher, die hedonistisch verschwendete Jugend. Oder, mehrheitlich, als Erfolgsgeschichte einer gemeinsam akkumulierten Reife. In diesen Texten fehlen selten Vokabeln, vor denen man sich in Acht nehmen muss: „Generation“ „Citoyen“ oder „Ankommen“. Also befragen wir die drei zeitgleich erscheinenden Platten deutschsprachiger, punkinspirierter Bands von Leuten um die Fünfzig (pardon Britta): Wie altern im Rock auf deutsch? Wer kommt hier wo an? Haben Männer keine Wechseljahre? Punkinspiriert heißt: Do it yourself, was wir tun, tun wir aus Liebe und nicht aus Profession, Amateure im richtigen Sinn des Wortes. „Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß“, heißt das in den Worten der Lassie Singers. Ein Satz, der sich seit seiner Erstverkündung vor 14 Jahren gedreht hat, auch gegen seine Erfinderin. Davon handelt dieser Text, davon handelt die neue Britta-Platte.

Von den hier zur Debatte stehenden Bands waren S.Y.P.H. immer am weitesten entfernt von einer Karriere in Rock. Sie machten am wenigsten Rock, kamen aus Solingen statt aus Düsseldorf, der Hochburg der Punkjahre, und sie hatten schon damals eine Schwäche für repetitive Musiken wie Dub-Reggae oder Krautrock à la Can. Eine Schwäche, die erst viel später Distinktionsgewinn versprach, 1980 aber Skepsis hervorrief, wenn nicht Exkommunizierung. Während Fehlfarben-Sänger Peter Hein den nom de guerre Janie trägt, nach dem Clash-Song „Janie Jones“, leiht sich der S.Y.P.H.-Sänger seinen Namen bei einem unscheinbar großartigen Song der Kinks – „Harry Rag“. Damit hat er seinen Platz definiert: leftfield, nicht im Definitionszentrum Beatles/Stones respektive Sex Pistols/Clash, das Abseits als erleichternder Ort.

Über die Jahrzehnte waren S.Y.P.H. nie weg, aber auch nie richtig da. Harry Rag dreht Filme, ab und zu kommen Platten, die vor allem eines auszeichnet: Distanz zu jedem State of the Art populärer Musik. Mit allen Vor- und Nachteilen: Freedom of Speech vs. Selbstmarginalisierung, Sonderlinge in Solingen. Diesen Status kosten S.Y.P.H. aus, bis heute. Auch auf dem neuen Album „–1“ (Pure Freud/ Indigo) finden sich wieder beide Seiten der Medaille: der Wille zum Kalauer, dann reimt sich Gummibärchen auf Astairechen (der Schauspieler). Der Wille zur Wiederholung, dann beginnt das Album mit dem auf 4.20 Minuten 41-mal wiederholten Wort „Monorock“ zu einem Dub&Roll, der den Titel verdient. S.Y.P.H.-Humor gebiert Songtitel wie „Rausländer“, oder „Ping Pong und die weiße Frau“. Dann wieder sangen sie „Jenseits von Jedem“, 14 Jahre bevor Blumfeld dieses Jenseits zu einem Pop-Ort machten.

Geld verdient man damit nicht. Die Frage nach dem Alter stellt sich auch nicht. S.Y.P.H. waren schon immer born old und bleiben ewige Kindsköpfe. Bei allem Spaßterror haben sie begriffen, dass Monotonie und Wiederholung von Musiken wie Punk, Dub und Disco der linearen Narration des Rock überlegen sind.

Besonders hässlich und bräsig zeigt sich das Gesicht des Rock bei dem vokalen Steigerungslauf, mit dem Campino auf „26 1/2“ das traurig-schöne „Paul ist tot“ ruiniert.

Damit verdient man Geld. Und Geld brauchen die Fehlfarben. „Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß“: Für Peter Hein hieß das: Nicht Rockstar werden, Job weitermachen, Amateur bleiben, das heißt Liebender. Also blieb der prägende männliche Deutsch-Sänger der Achtziger – ein Jahrzehntsänger wie Reiser vor und Distelmeyer nach ihm – bei Rank Xerox. Ausgerechnet, wo doch Punk kunstgewordene Fotokopie war. Aber die Krise erreicht auch Düsseldorf, und nach über 25 Jahren wird der Business System Consultant Peter Hein entlassen. „Nachdem ich 16 Rationalisierungswellen überstanden hatte, bin ich der 17. dann zum Opfer gefallen“, erzählt er dem Rolling Stone.

Soll man ihnen da verdenken, dass sie mit der Hilfe von berühmten Freunden noch ein paar Euro verdienen wollen? Ist es kommerzielles Kalkül oder Altersmilde, wenn sie die Meyers nicht mehr unterscheiden? Hieß es nicht mal aus guten Gründen Grönemeyer oder Distelmeyer? Und war nicht Lohmeyer der Fernsehtyp mit dem Schalke-Schal? Alles Meyer oder was? Aber ist es nicht ein bisschen unreif, die Feindbilder der Jugend bis ins Infarktalter mit sich rumzuschleppen, fragt der Herr von der Neuen Bürgerlichkeit. Alles eine K(l)assenfrage, antworten Britta.

„Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß“ – das war ja auch mal ein Versprechen: nie mehr früh aufstehen, keine blöden Vorgesetzten, Leben in der Bar, Leben von der Kunst. „Hamburg“ hieß das Stück, 1992 erscheint es bei der großen Plattenindustrie, dort landen zur selben Zeit die Freunde von Blumfeld und den Sternen, die in dem Lied vorkommen. Alle zusammen auf dem Sprung.

14 Jahre später haben sich die Wege getrennt. Das neue Blumfeld-Album wird im April in den deutschen Top Ten stehen, das neue Britta-Album „Das Schöne Leben“ (Flittchen Records/Indigo) bei den Lokalradios laufen. Heute ist der ganze Scheiß beschwerlich, die Nischenökonomie so kaputt wie die New Economy. „Rechnen, krebsen, wursteln, durchschlagen, nur ganz selten kommt’s da mal zu Champagner, Kokain“, heißt es bei Britta. Millionär reimt sich auf prekär und die Kernfrage lautet: „Ist das noch Bohème oder schon die Unterschicht?“

So viel zur Neuen Bürgerlichkeit. Zur Klassenfrage kommt die Altersfrage. Eine tote Bandfreundin, ein Schlaganfall, Monate im Krankenhaus, der ganz andere Scheiß. Davon handelt „Das schöne Leben“. Aber komischerweise macht es Spaß, das zu hören. Britta verkneifen sich Durchhalteparolen und Ermunterungslebertran und tappen selten in Larmoyanzfallen. Stattdessen pflegen sie eine gesunde, gleichsam materialistische Misanthropie der beschwingten Melodie. „Alte Zausel, Indieboys, Neocons, Mutanten, junge Spießer, Pradafrauen und ihre Anverwandten, höhere Töchter, bessere Söhne und eure ganze Schicht. Ihr denkt, ich kann euch leiden, aber ich verzeih euch nicht“ („Menschenfeind“).

In Krisenzeiten bieten Klassenhass und Weltekel eine Zuflucht. „Das schöne Leben“ ist schön, weil Christiane Rösinger bei aller Depression darauf besteht, dass es da – prekär, aber dennoch – ein Durchwursteln geben kann, ein Leben, in dem man wenigstens nichts zu tun haben muss mit Indieboys & jungen Spießern, Grönemeyer & Lohmeyer. Und nein, es ist kein Zufall, dass eine Frau(enband) solche Fragen stellt. Derweil die Männer: Augen zu und durchrocken! Wie vor den Wechseljahren.