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Archiv-Artikel

Zum Erblinden bunt

WAS SAGT UNS DAS Guido Westerwelle wendet sich an ein unbelecktes Publikum – die „Bravo“-Leserschaft

Fast verschämt steht oben auf der Doppelseite der aktuellen Bravo sein Name: Guido Westerwelle. Darunter prangt in fetten Lettern „Außenminister … Johnny Depp“. Nur wer erneut hinsieht, erkennt das dazwischen gequetschte „steht total auf“.

Hat der Imageberater des Außenministers nach dem Besuch des Abba-Musicals zu viel Blue Curaçao getrunken und im Vollrausch einen Interviewtermin vereinbart? Kehrt Gaga-Guido zurück, wie wir ihn vom Spaßwahlkampf 2002 oder dem Besuch im „Big Brother“-Container im Jahr 2000 kennen?

Suzi Quatros Lederkluft

Weder noch. Das zum Zeitpunkt desolater Umfragewerte lancierte und, nebenbei bemerkt, zum Erblinden bunt bebilderte Interview ist ein genialer Schachzug. Westerwelle setzt bei der Rekrutierung liberaler JungbürgerInnen ganz auf die Zielgruppe „U 18“. Und das ziemlich geschickt, denn es geht handzahm los, mit Geplänkel über Bravo-Starschnitte (Westerwelle schwärmte für Suzi Quatro „in ihrer Lederkluft), Aufklärung (in der Schule „wurde darüber offen und robust gesprochen“), Hassfächer („Physik. Chemie“) Das Politische ist in der niedlichen Frage „Zu Ihrem Job als Politiker …“ verpackt. Man erfährt denn auch brisante Dinge: Der Außenminister weiß nicht, wie viele Stempel er in seinem Reisepass hat. Und er bekommt tolle Gastgeschenke, wie „den langen Silberdolch aus dem Jemen“.

Ein Bravo gebührt Westerwelle trotzdem. Dafür, dass er im Zentralorgan der sexuell erwachenden Jugend über sein Schwulsein spricht. Wenn sich der Außenmister darüber in Kinderzimmern äußert, als sei es die normalste Sache der Welt, ist das gut. Vielleicht ist es 2010 auch ein bisschen normaler als 1973 und in Berlin noch ein bisschen mehr als im Schwarzwald.

Bei so viel Gagatum und Homo-Mutmacherei muss man also aufpassen, um den Angriff am Ende nicht zu übersehen. Er kommt wie ein hyperliberaler Kinderriegel mit sozialdarwinistischer Füllung daher: „Wer sich nicht anstrengt, macht nicht denselben Weg wie jemand, der sich anstrengt“, oder auch: „Wir können Schwächeren nur verlässlich helfen, wenn unser Land stark bleibt.“

Immerhin verhindert dieser entlarvende Schluss womöglich, dass in ihrem Mut gestärkte homosexuelle Jugendliche aus irrationaler Dankbarkeit FDP wählen. Ein doppeltes „Danke, Guido.“ KIRSTEN REINHARDT