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Archiv-Artikel

„Das ist die Schachtel an sich“

Die Erfindung des Containers hat nicht nur die Häfen revolutioniert, sagt der Kulturwissenschaftler Alexander Klose. Egal, ob Wohn- oder Flüchtlingsbox: „Darin steckt ein Organisationsprinzip, das charakteristisch ist für unsere Zeit“

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Herr Klose, Sie haben im vergangenen Jahr das „Zeitalter des Containers“ ausgerufen. Warum hat die breite Öffentlichkeit so wenig Sinn für die Bedeutsamkeit dieses Behältnisses?

Alexander Klose: Der erste Grund ist sicher, dass Container so unauffällig auf Funktionalität getrimmte Gegenstände sind. Wenn sie irgendetwas aussagen, dann: „Ich bin schon wieder weg.“ Darüber hinaus glaube ich, dass die Container im Alltag einen unheimlichen Aspekt haben: Eigentlich sind sie Teil eines großen Verschiffungssystems und wenn sie in der Stadt herumstehen, eindeutig am falschen Platz.

In der Containerforschung sind die Attribute, die ihnen zugeschrieben werden, weitgehend negativ. Wenn ich aus einem Ihrer Texte zitieren darf: „Als leere Form inszeniert der Container die strukturelle Gewalt des Kapitalismus, die darin besteht, alles und jeden zur Ware zu transformieren.“ Gibt es aus kulturwissenschaftlicher Sicht auch etwas Positives über den Container zu sagen?

In diesem Text habe ich die Sache natürlich sehr zugespitzt. Ich würde sagen, dass der Container als Medienstar der vergangenen Jahre inzwischen auch ein positiv besetzter Gegenstand ist. Gerade heute las ich einen Zeit-Artikel, in dem stand: Der Container hat den Welthandel revolutioniert.

Eine Revolution, die viele Hafenarbeiter ihre Stelle gekostet hat.

Richtig, da ist eine ganze Profession auf ein Zehntel dezimiert worden. Der spezifische Geruch und das spezifische Gefühl einer Hafengegend, die direkt neben der Stadt liegt, sind inzwischen so gut wie verschwunden, weil Containerhäfen in der Regel 40 Kilometer außerhalb liegen und von Stacheldrähten umzäunt sind.

„Produktionsstätte zwangsnomadischer, metaphysisch unbehauster Individuen“ haben Sie die Container genannt, die in den letzten Jahren bei Big Brother oder in den Inszenierungen der Berliner Volksbühne aufgetaucht sind. Woher kommt dieses Interesse der Kunst am Container?

Ich glaube, der Hauptgrund ist, dass der Container zu dem Symbol der Globalisierung schlechthin geworden ist. Ein zweiter Grund ist sicher die ungeheure Verfügbarkeit – die Container können zweit- oder drittverwendet werden und in kulturellen Zusammenhängen könnte das ein pragmatischer Grund sein, warum er auftaucht.

Nachdem der Symbolcharakter des Containers einmal festgestellt ist – was bleibt für Sie als Wissenschaftler noch zu erforschen auf dem Feld der Containerisierung?

Wenn man den Container nicht nur als Stahlkiste denkt, sondern als Schachtel an sich, dann steckt darin die Materialisierung eines Organisationsprinzips, das ich als charakteristisch für unsere Zeit bezeichnen würde. Ich glaube, dass diese Zusammenhänge noch nicht erkannt sind. Daher steht man relativ hilflos vor Phänomenen wie den Logistikzonen zwischen mitteldeutschen Städten, in denen überall die gleiche Containerarchitektur mit Autobahnanschluss herrscht. Und man weiß nicht: Ist das Suburbanisierung, das Ende der europäischen Stadt oder eine neue Form von Urbanität?

Gibt es in Deutschland Stimmen, die tatsächlich den Container als Form für dauerhaftes Wohnen propagieren?

Es gibt Architekturen, die mit Raummodulen arbeiten, die aussehen wie Schiffscontainer. Zum Beispiel in Hamburg entlang der Elbe. Wenn man sich allerdings mit Gropius und Corbusier auseinander setzt, dann landet man sowieso bei einer Art Containerprinzip. Es gibt so etwas wie eine Sehnsucht nach dem Container in der Architektur der Moderne.

Woraus speist sich diese Sehnsucht?

Aus der zunehmenden Komplexität und der Fülle von Möglichkeiten. Die Moderne erfindet sich neu nach dem als furchtbar empfundenen Eklektizismus des 19. Jahrhunderts, wo keine klare Form mehr erkennbar war. Die Schachtel ist dann Ausdruck der Sehnsucht nach dem euklidischen Raum, dem vormodernen Raumkonzept, das auf Rechtwinkligkeit und Dreidimensionalität beruht.

Heutzutage ist der Container der Ort, der sozial Schlechtergestellen zugewiesen wird: Zum Beispiel Asylsuchenden.

Dort ist er ein Menschenverwaltungsmittel. Pragmatisch gesehen erfüllt er seinen Zweck, aber es ist als Dauerlösung natürlich eine Zumutung. Es ist sicher kein Zufall, dass man den Nachbarn dieser Unterkünfte qua Container verspricht, dass die Asylsuchenden bald wieder weg sein werden.

Ist die Spurenlosigkeit des Containers einer der Gründe für die ambivalenten Gefühle, die er auslöst?

Bestimmt ist ein Grund der Unheimlichkeit, dass man sich jederzeit vorstellen kann, dass der Container morgen für einen ganz anderen Zweck verwandt wird: Vom Gruseligsten, wie den tot transportierten Taliban-Kämpfern im Afghanistan-Krieg bis zum harmlosen Transport von Spielsachen.

Jedes Jahr gehen über 10.000 Container über Bord. Entsteht da eine Art maritimes Ethnologiemuseum im Meer?

Das ist zumindest ein schönes Bild. Als ich auf einem Containerschiff mitgefahren bin – der Beginn meiner wissenschaftlichen Forschung – erzählte man mir, dass die schwimmenden Container eine Gefahr für die Privatschifffahrt seien. Das ist, als stieße man gegen einen Eisberg.