: „Das Wort ‚Entwarnung‘ ist ganz falsch“
Ist das Atomforschungszentrum in Geesthacht für Kinderkrebs in der Elbmarsch verantwortlich? Oder widerlegen bisherige Studien diese These? Die taz fragte Wolfgang Hoffmann, Koordinator der Norddeutschen Leukämiestudie
taz: Gibt es in der Elbmarsch, rund um das AKW Krümmel und das Atomforschungszentrum GKSS in Geesthacht, mehr Leukämie als anderswo?
Wolfgang Hoffmann: Es gibt eindeutig eine erhöhte Leukämierate bei Kindern bis 15 Jahren, bis heute noch. Es ist die größte kleinräumige Anhäufung von Kinderleukämiefällen weltweit, die bis jetzt beschrieben wurde. Und es gibt dort auch eine – deutlich weniger stark – erhöhte Leukämierate bei Erwachsenen.
Sie haben das sieben Jahre untersucht. Was genau sollte die Norddeutsche Leukämie- und Lymphomstudie klären?
Ob verschiedene wichtige Risikofaktoren ursächlich sind für die Leukämien: erstens der Normalbetrieb der AKW, zweitens der Einsatz von Bioziden im privaten und beruflichen Bereich, drittens die Belastung mit elektromagnetischen Feldern. Wir haben eine Fall-Kontrollstudie mit 1.500 Erkrankten aus sechs Landkreisen um Hamburg und 3.000 Vergleichspersonen gemacht.
Mit welchem Ergebnis?
Dass die AKW Krümmel, Stade, Brokdorf und Brunsbüttel im Normalbetrieb nicht zu einem systematisch erhöhten Leukämierisiko bei den Anwohnern geführt haben. Das betrifft die Erwachsenen. Die Kinder konnten mit dieser Untersuchung nicht untersucht werden.
Obwohl doch genau sie es waren, bei denen man eine signifikant erhöhte Leukämierate bemerkt hatte.
So ist es. Aber obwohl es so viele Betroffene sind, sind es viel zu wenige, um eine solche Untersuchung durchzuführen.
Ihre Studie wird oft als Entwarnung interpretiert: dass die AKW nicht schuld sein könnten an der hohen Kinderleukämierate. Lässt sich das so sagen?
Nein. Auch das Wort „Entwarnung“ ist ganz falsch. Unsere Studie kann keine Aussage machen über die Gründe für das Kinderleukämie-Cluster. Weil wir genau die Ursachen dafür nicht untersucht haben.
Warum dann der Aufwand?
95 Prozent aller Leukämiefälle sind Erwachsene. Es war natürlich eine relevante Frage, ob auch bei ihnen die Wohnnähe zu AKW zu einem erhöhten Risiko führt.
Die Akten „Leukämie in der Elbmasch“ sind längst geschlossen. Spekuliert wird weiter: über Atomwaffenexperimente, einen merkwürdigen Brand, einen geheimen Unfall. Verträgt sich das mit dem Ergebnis Ihrer Untersuchung?
Es ist durchaus möglich, dass beides richtig ist. Unsere Untersuchung bezog sich ja ausdrücklich auf den Normalbetrieb der Atomanlagen. Störfälle sind in unserer Untersuchung nicht enthalten. Auch auf dem Atomforschungszentrum GKSS lag kein besonderer Fokus darin. Insofern ist es durchaus möglich, dass bei Studien darüber andere Ergebnisse rauskommen würden, als bei uns rausgekommen sind.
Man kann Ihre Studie also nicht für die Behauptung heranziehen, das GKSS habe mit der Leukämie nichts zu tun.
Genau so ist es. Interview: sim