: Der Fuß auf dem Phallus
Magnus Hirschfeld hat sich als Wissenschaftler für die Rechte der Homosexuellen eingesetzt. Dass er aber auch für Eugenik plädierte, wird im Vorwort zur jetzt erschienenen Neuauflage seiner „Weltreise“-Texte heruntergespielt
Zunächst einmal ist festzustellen: Magnus Hirschfeld, geboren 1868 in Kolberg, gestorben 1935 als Exilant in Nizza, ist ein für die Sexualwissenschaft unersetzlicher Mann. Sein Institut für Sexualwissenschaft war eine bedeutende Institution, die sich insbesondere für die Rechte der Homosexuellen einsetzte, doch auch so genannte Perversionen wurden angemessen betrachtet. Diese Verdienste Hirschfelds sind unbestritten.
Doch Hirschfeld, der sich seit den 70er-Jahren besonders in schwulen Kreisen wieder einer wachsenden Bedeutung erfreut, spaltet seit einiger Zeit erneut die Geister. Während etwa das Schwule Museum oder die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft den Forscher einfach nur loben, sehen Organisationen wie das Berliner Institut für Faschismusforschung in Hirschfeld einen „Rassenhygieniker“. Wenn dann noch Rosa von Praunheim eine ekelhafte Klamotte über Hirschfelds Leben gedreht hat, in der Hirschfeld einerseits ein fideler Liebhaber ist und andererseits ein chirurgischer Eingriff bei einem so genannten Zwitter zur Slapstickszene gerät, weiß endgültig niemand mehr, woran er bei Hirschfeld ist.
Tatsächlich war Hirschfeld, der mit „Sappho und Sokrates“ eines der wirkungsvollsten Manifeste der Schwulenbewegung (die damals freilich noch nicht so hieß) verfasste, ein Befürworter der Eugenik. Also jemand, der meinte, dass menschliche Eigenschaften erblich seien und diese Vererbung „gesteuert“ werden solle. „Die Eugenik bezweckt durch Hervorbringung besserer und glücklicherer Menschen die Entstehung einer besseren und glücklicheren Menschheit“, schrieb Hirschfeld 1933, als er sich bereits in Zürich befand.
Das Vorwort, in dem sich diese Zeilen finden, ist das Vorwort zu seinem Buch „Weltreise eines Sexualforschers“, das soeben neu in der Anderen Bibliothek bei Eichborn erschienen ist und das der Herausgeber Hans Christoph Buch heute Abend vorstellen wird. In dem Buch berichtete der äußerst eitle Hirschfeld von einer spontanen Weltreise, auf der er in anderthalb Jahren 176 Vorträge hielt, die ihm die Reise finanzierten. Hirschfeld zeigte sich begeistert von der jeweiligen Kultur und präsentierte sich einerseits offen, indem er nichts herabsetzen wollte; andererseits kam er etwa auf die bezeichnende Idee, statt „Wilde“ solle man lieber „Primitive“ sagen. Auch Hirschfelds Umgang mit den diversen Phallussymbolen war bezeichnend, auf den im Buch eingestreuten Fotos lehnte er sich lässig an die Kultstücke oder stellte gar seinen Fuß auf sie, ganz europäisch überlegen.
Hirschfeld ist dabei nicht unbedingt schlimmer als viele andere Forscher seiner Zeit. Wie viele Aufklärer verwechselte er Ideologie mit Wahrheit, war er von Kategorien wie Rasse oder Vererbung überzeugt und sah sich, trotz aller Offenheit, als Vertreter einer höheren Kultur. Das aber entlastet ihn nicht, wie Hans Christoph Buch meint. Der Schriftsteller versucht, Hirschfeld in seinem Vorwort zu retten, das sich vor allem auf einen Spiegel-Artikel von Volkmar Sigusch, dem heutigen Leiter des Instituts für Sexualwissenschaft, von 1985 bezieht. Damals hatte dieser Hirschfeld eugenische Thesen vorgeworfen. Buch bemüht sich nun darum, den Vorwurf zu bagatellisieren, indem er zeigt, wie sehr Hirschfeld als Jude, Schwuler und Sexualwissenschaftler für die Nazis ein Feindbild war und wie oft Freud und andere ebenfalls zu fatalen Fehlurteilen neigten.
Doch es geht ja nicht darum, Hirschfeld zu verdammen. Es geht lediglich darum, die Ikone zu stürzen und zu schauen, was von Hirschfelds Lehren noch brauchbar ist. Dennoch soll die Kritik unterdrückt werden. Offensichtlich brauchen Hirschfelds Verehrer Ikonen. Es wird also ein spannender Abend werden. JÖRG SUNDERMEIER
Buchpremiere: Hans Christoph Buch und Marko Martin präsentieren „Magnus Hirschfeld: Weltreise eines Sexualforschers“ (Andere Bibliothek), heute Abend, 20 Uhr, Autorenbuchhandlung Carmer Str. 10