: Zum Denunzieren gezwungen
PROSTITUTION Die Gesetze zum Schutz von Prostituierten gelten nicht für illegale Migranten. Studien fordern, auch diese zu legalisieren
VON RON STEINKE
Im Kampf der deutschen Politik gegen Zwangsprostitution sah die letzte Idee so aus: Frauen, die illegal nach Deutschland eingeschleust und auf den Strich geschickt wurden, dürfen so lange im Land bleiben, wie man sie als Zeuginnen gegen ihre Zuhälter braucht. Das Angebot „Aufenthalt gegen Aussage“ sollte die Frauen dazu ermutigen, sich der deutschen Polizei anzuvertrauen. Sobald der Prozess gegen die Menschenhändler vorbei ist, schnappt das Ausländerrecht allerdings trotzdem zu: Die Zeugin, die den Behörden ihre Lage offenbart hat, wird abgeschoben. Wie das Bundesinnenministerium vor kurzem einräumen musste, finden Zwangsprostituierte dieses Angebot, das seit drei Jahren gilt, wenig attraktiv.
Nach wie vor erleben viele die Polizei nicht als Beschützerin, sondern eher als zusätzliche Bedrohung. Manche Beobachter halten das inzwischen für den eigentlichen Kern des Problems. Woher rührt eigentlich der „Zwang“, und wie groß ist der Anteil des deutschen Ausländerrechts hieran?, fragen Juristinnen, Sozialarbeiter und ein Sexualwissenschaftler in dem Sammelband „Menschen Handel“.
Müssten ausländische Prostituierte in Deutschland nicht ständig ihre Abschiebung fürchten, dann wären sie nicht halb so abhängig von willfährigen Zuhältern, argumentiert dort etwa die Rechtswissenschaftlerin Lena Dammann. So betrachtet ist der „Zwang“ hierzulande sogar die Regel: In Deutschland sind die allermeisten Prostituierten Migrantinnen. Viele von ihnen leben ohne gesicherten Aufenthaltsstatus oder ganz ohne Papiere. Wer keine Abschiebung riskieren wolle, müsse Ärzte meiden und der Polizei aus dem Weg gehen, so Dammann. Dass Zuhälter und Kunden dies wüssten, schaffe dann die eigentliche Gefahr.
Das 2002 geschaffene Prostitutionsgesetz nützt denjenigen, die es am meisten bräuchten, nichts, denn die darin gewährten Rechte sind an ein Aufenthaltsrecht geknüpft. Gelegentlich hört man die Forderung, Freier von Zwangsprostituierten mit Strafen zu belegen; für Zuhälter sind die Strafen bereits hochgeschraubt worden. Nur was hilft das den Frauen, solange sie selbst rechtlos bleiben, fragt die Kieler Kriminologin Monika Frommel. Ausländische Prostituierte seien nicht deshalb ihren Zuhältern ausgeliefert, weil das Strafrecht zu lasch sei. Sondern weil das restriktive Ausländerrecht sie faktisch in diese Zwänge hineinpresse. Dem schließt sich auch das Deutsche Institut für Menschenrechte mit seiner neuen Studie „Menschenhandel in Deutschland“ an. Der politische Fokus müsse eher darauf liegen, die Möglichkeiten zur legalen Arbeitsmigration zu verbessern, anstatt Schleuser zu verfolgen.
Die Zwänge, denen viele Prostituierte durch das geltende Ausländerrecht ausgeliefert werden, beträfen grundsätzlich alle Illegalisierten gleichermaßen, argumentiert der Herausgeber des Bandes „Menschen Handel“, der Frankfurter Strafverteidiger Philipp Thiée.
Überspitzt gefragt: Warum nur von Zwangsprostitution sprechen und nicht genauso von Zwangsputzfrauen? Der Skandal sei die Ausbeutung von Migrantinnen, argumentiert Thiée – und kritisiert, dass das deutsche Strafrecht diese nur dann für relevant halte, „wenn es um Sex geht“.
An gleicher Stelle zeigt die Rechtswissenschaftlerin Nora Markard, wie sich in den entsprechenden Strafvorschriften auch Geschlechterstereotypen niederschlagen. Frauen würden in der Rhetorik internationaler Abkommen zum Menschenhandel regelmäßig mit Kindern zusammengefasst („women and children“). „Weibliche Migrationswünsche und bewusst gewählte Sexarbeit im Rahmen verfügbarer Handlungsoptionen“ würden konsequent ignoriert.
■ Philipp Thiée (Hg.): „Menschen Handel: Wie der Sexmarkt strafrechtlich reguliert wird“. Vereinigung Berliner Strafverteidiger, 2008, 286 Seiten, 20 Euro
■ Petra Follmar Otto, Heike Rabe: „Menschenhandel in Deutschland“. Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin 2009, 103 Seiten, kostenlos