Ende des Schweigens

Das erste Buch über Lesben in Afrika gewährt spannende Einblicke

Über Lesben und Schwule wird in Afrika eigentlich nicht gesprochen. Und wenn es doch geschieht, dann behaupten mächtige Politiker wie Sam Nujoma oder Daniel Arap Moi öffentlich, dass Homosexualität „unafrikanisch“ sei. Lesben und Schwule gehörten daher eingesperrt, deportiert oder gar „eliminiert“. Eine schwullesbische Subkultur scheint es außerhalb Südafrikas kaum zu geben und darüber, wie lesbische Afrikanerinnen leben, gibt es trotz der offensichtlichen Diskriminierung kaum Berichte – geschweige denn wissenschaftliche Literatur.

Mit ihrem kürzlich in Johannesburg erschienenen Buch „Tommy Boys, Lesbian Men and Ancestral Wives. Female same-sex practices in Africa“ unternehmen die beiden Anthropologinnen Ruth Morgan und Saskia Wieringa jetzt erstmals den Versuch, die heutigen Lebensumstände von Lesben aus sieben afrikanischen Volksgruppen zu beleuchten. Als europäischstämmige Wissenschaftlerinnen stützen sie sich dabei auf Material, das afrikanische Interviewerinnen in ihrem Auftrag in ihren jeweiligen Heimatländern zusammengetragen haben: Kenia, Uganda, Tansania, Südafrika, Namibia und Swasiland.

„Ich war die Jüngste zu Hause, also war ich Schafhirte. Ich war bei den Jungs“, erzählt beispielsweise die 39-jährige Zozo über ihre Kindheit als „Tomboy“ in der südafrikanischen Provinz Eastern Cape. „Auf dem Land hatten wir keine Ahnung von solchen Dingen wie Schwulen und Lesben. Manche sagten zu mir, ich sei wie ein Mann – das hat mich verletzt.“ Die Berichte, die Wieringa und Morgan gemeinsam mit den Interviewerinnen in Länderkapiteln zusammenfassen, reichen von der Kindheit der später lesbischen Frauen, über ersten Sex und dem Coming-out zu den Formen ihrer heutigen Beziehungen. Alles ist gleich, so scheint es, und alles ist anders. Es gibt sie, die gleichen zentralen Punkte in den Lesbenbiografien, hier wie dort – aber sie führen mitunter zu unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen.

„Am Freitag war ich sehr betrunken, und dann wurde ich schwierig“, erzählt etwa Hans, eine Butch-Lesbe mit selbst gewähltem Vornamen aus Namibia. „Ich habe meiner Freundin um den Hals gefasst und aus einem Drahtbügel eine Schlinge geformt. ‚Siehst du den Baum da?‘, habe ich sie gefragt. ‚Da werde ich dich aufhängen.‘ “ Exzessiver Alkoholkonsum ist bei den Männern der Volksgruppe der Damara in Namibia weit verbreitet – und maskuline Lesben orientieren sich nicht nur daran, sondern auch am aggressiven, gewalttätigen Männlichkeitsbild, schreiben Morgan und Wieringa.

Ihr Buch beendet das Schweigen über gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Frauen in Afrika. Es zeigt deutlich die haarsträubenden Bedingungen, unter denen sie leben müssen, aber auch, dass es bedeutende Toleranzunterschiede bei den einzelnen Volksgruppen geben kann.

Nebenbei macht es auch mit ureigenen afrikanischen Erklärungsmustern für lesbische Orientierungen vertraut: Beispielsweise glauben lesbische Sangomas (traditionelle Heilerinnen) in Südafrika, dass sie ihre maskuline Identität von einem männlichen Vorfahren beziehen, mit dem sie in Kontakt stehen. Lesbische Sangomas werden in Südafrika übrigens respektiert und wegen ihrer sexuellen Orientierung kaum physisch angegriffen – ganz im Gegensatz zu den „normalen“ schwarzen Lesben.

Den Autorinnen geht es allerdings um mehr, als das Vorhandene bloß abzubilden. Ihre Frage ist, ob es gleichgeschlechtliche Beziehungen bereits in vorkolonialen Gesellschaften gab – und die Mär von der „unafrikanischen“ Homosexualität widerlegt werden kann. Die früher in vierzig Volksgruppen verbreiteten traditionellen Frauenehen, in denen beispielsweise Witwen allein erziehende Frauen heiraten konnten, geben eine Ahnung davon, wie unorthodox manche Ethnien mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Kindererziehung umgegangen sind.

Der Nachweis aber, dass diese Ehen auch aus erotischer Zuneigung geschlossen wurden, gelingt den Anthropologinnen nicht ganz. Der Grund ist einfach: Früheren EthnologInnen kam diese Möglichkeit offenbar nicht in den Sinn und wurde daher nicht genügend untersucht. FRIEDERIKE WYRWICH

Ruth Morgan, Saskia Wieringa: „Tommy Boys, Lesbian Men and Ancestral Wives. Female same-sex practices in Africa“. Jacana Media, Johannesburg 2005, 13,95 £