DAS LEID DES BUSFAHRERS : Berliner Ignoranz
Gestern Abend habe ich verstanden, was es bedeutet, Busfahrer zu sein. Ich sitze im M 29 von der Rudi-Dutschke-Straße nach Neukölln. Direkt vor uns: noch ein M 29. Typisch. Die Busse ballen sich wie immer, woanders tun sich vermutlich Lücken auf. Plötzlich knackt es im Mikrofon: „Meine Damen und Herren, wir haben jetzt eine Verspätung von zehn Minuten“, meldet sich der Busfahrer zu Wort. Dann bricht der Redeschwall nicht mehr ab.
Ohne seinen höflichen Ton zu verlieren, beginnt der stressgeplagte Mann einen Vortrag über die Beschwerlichkeiten seines Berufs. Verspätungen, Umleitungen, Ausfälle; welcher Berliner kennt das nicht. Der Fahrer erklärt sich. Die Ampeln seien zwar per Signal mit den Bussen gekoppelt, allerdings nur bis zu einer bestimmten Zeit. Verzögerungen wie die jetzige kämen auch zustande, wenn Busfahrer die Türen an roten Ampeln noch einmal für zu spät kommende Fahrgäste öffneten. Deswegen habe er das eben am Görlitzer Bahnhof auch nicht tun können.
Und dann, noch immer in höflich-referierendem Ton, kotzt sich der arme Mann über die „größtmögliche Ignoranz und absolute Nichtrücksichtnahme“ der Menschen in Berlin aus. Diese wollen immer und überall pünktlich ankommen, gleichzeitig aber den Bus am liebsten an jedweder Stelle an den Straßenrand winken. Wenn dann etwas schiefgeht, ist natürlich die BVG schuld. Und der Busfahrer. Eine halbe Ewigkeit dauert der Monolog. Einige Fahrgäste lachen. Ich empfinde tiefes Mitleid.
Beim Aussteigen gerate ich in die Masse der ein- und aussteigenden Menschen, drängelnd, schubsend, im Weg stehend. Mein Mitleid für die Menschen, die im Personennahverkehr beschäftigt sind, wächst. Am liebsten würde ich dem Busfahrer noch einen freundlichen Gruß zurufen. Doch er ist bereits hinter einer Traube von rücksichtslosen Menschen verschwunden.
DINAH RIESE