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Archiv-Artikel

Kein Unterschied im Strich

DIFFERENZ Nur wenige Frauen halten im Geschäft mit der politischen Karikatur mit. Warum? Die Zeichnerinnen selbst bieten unterschiedliche Erklärungen

VON GINA BUCHER

BERLIN taz | Der Namen verrät es, nicht der Strich: Die meisten Karikaturen in den hiesigen Tageszeitungen sind von Männern signiert. Man muss sie suchen, die weiblichen Vornamen, auch bei den Preisträgern der Wettbewerbe, die besonders gelungene politische Karikaturen aus Deutschland auszeichnen. Ob überhaupt wenig, zu wenig Frauen dieses anspruchsvolle journalistische Genre pflegen oder zu wenig gefördert werden, ist schwierig zu sagen – es ist die alte Frage von Henne und Ei.

Die Zeichnerinnen, die mit ihren Karikaturen zumindest einen Teil ihres Geld verdienen, kann man an einer Hand abzählen. Barbara Henniger, Christiane Pfohlmann und Kittyhawk sind drei Namen, denen man gelegentlich begegnet. Marie Marcks kennt man von früher. Sie zeichnen das politische Kabinett von Merkel & Co. genauso pointiert und bitterböse wie ihre männlichen Kollegen – einen Unterschied im Strich gibt es nicht.

Zumal sich die Arbeitsweise der Karikaturisten in den letzten Jahren grundlegend geändert hat: Die meisten arbeiten am Rechner, entwerfen vielleicht noch von Hand, befüllen aber die Farbflächen zum Beispiel per Mausklick. Insgesamt ist das Genre comicartiger geworden, Sprechblasen fallen heute mehr auf als früher.

Kleine Berufsgruppe

Eine erste Erklärung, warum es so wenige Frauen gibt, die gut verpackte Lügen mit einer prägnanten Zeichnung entlarven, ist die Statistik: Die Berufsgruppe der Karikaturisten ist per se klein. „Es gibt vielleicht 80 von ihnen, gut 60 können mit dem Zeichnen ihr Brot verdienen“, erklärt Michaela Veith. Sie betreut den Rückblende-Preis, der jährlich die beste politische Karikatur auszeichnet.

Unter den wenigen herrscht ein harter Wettbewerb, ist doch die Zeitungsbranche zuletzt nicht gewachsen, sondern geschrumpft. Sowieso sitzen die Hauskarikaturisten großer Medienhäuser nicht mehr gemütlich mit der Pfeife im Mund in der Redaktion, sondern schicken ihre Zeichnungen von irgendwo per Fax oder E-Mail in die Medienhäuser. Die goldenen sechziger Jahre sind auch bei den Männern vorbei.

Eine andere Erklärung für die wenigen Frauen in der Branche könnte damit zu tun haben, dass die politische Karikatur ein tagesjournalistisches Genre ist. Die Karikaturisten schicken in der Regel mehrere Vorschläge täglich an die Redaktion, die sich für eine Zeichnung entscheidet. Man muss also à jour sein, stets darauf bedacht zu wissen, was gerade wo in der Welt passiert, ohne den Blick fürs Ganze zu verlieren.

Das funktioniert fast nur, wenn man auch Vollzeit arbeiten kann – wenn also keine Familie da ist, oder eine, die stets im Hintergrund unterstützt. Das ist für Frauen bekanntlich noch immer schwieriger als für Männer. Mit anderen Worten: Die Kombination von freier und tagesjournalistischer Arbeitsweise braucht einen langen Atem.

Fehlt Frauen Zynismus?

Barbara Henniger, 74, hat jahrelang dafür gebraucht, sich zu etablieren – geholfen hat ihr dabei ihre Familie: Die gelernte Journalistin aus Dresden, die heute in Strausberg lebt, kam in den sechziger Jahren zufällig zum Zeichnen, brachte sich das Handwerk autodidaktisch bei. Sie publizierte im Eulenspiegel, als Frau machte sie die typisch ostdeutsche Erfahrung: Es ist normal, dass Frauen (lohn-)arbeiten.

Erst nach der Wende stellte sie fest, dass es einfacher ist, nur noch mit dem Nachnamen zu unterschreiben – zu schnell sei sie als Frau in die feministische Schublade gesteckt worden. Vor allem aber, glaubt sie, „fehlt vielen Frauen der Zynismus, den es für die politische Karikatur braucht“. Eine spitze Feder kann auch mal wehtun, Menschen verletzen.

Den Karikaturen ihrer 40-jährigen Kollegin Kittyhawk fehlt es nicht an Zynismus. Doch die Themen und Muster wiederholten sich in der Politik stark, sagt sie. Als politisch interessierte Person kam sie zur Karikatur, doch seit sie politische Karikaturen zeichne, hätte sie nach und nach ihr Interesse verloren. Jährlich ein Lebensmittelskandal, immer wieder Ärger in der Koalition – Politik kann sehr durchschaubar sein, wenn man sie genauer beobachtet. Wenn sie dennoch einen Kommentar zum politischen Tagesgeschehen zeichnet, dann zur eigenen Unterhaltung.

Die Statistik, die nötige Ausdauer, der Zynismus sind die eine Seite. Christiane Pfohlmann, 45, erwähnt einen zusätzlichen Faktor: Jene, die die Karikaturen auswählen. „In den Politik-Redaktionen sitzen noch immer sehr viele Männer“, sagt die Karikaturistin, die seit 1997 hauptberuflich zeichnet. Sie habe selbst „als Frau“ nie schlechte Erfahrungen gemacht – bis auf das eine Mal, als ihr ein Szene-Kenner vorschlug, fortan unter männlichem Pseudonym zu zeichnen, um mehr Erfolg zu haben.

Die Welt wäre keine andere, wenn Frauen vermehrt die Politik kommentierten. Aber sie würden vielleicht die bislang männlich dominierte Sicht auf die hiesigen Machtverhältnisse etwas justieren, weil sie womöglich andere Widersprüche, andere Details entdecken würden.