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: Kummer, Mitleid und eine böse Pointe

Etwas im Stillen zu wissen und etwas dann vor Augen geführt zu bekommen: Dazwischen liegt eine Welt. Das musste Marcel Ophüls erfahren, als er seinen vierstündigen Dokumentarfilm „Das Haus nebenan“ vor mehr als vierzig Jahren in Frankreich zeigte. Er ist alles andere als eine bloße Anklage gegen jene, die während der Besetzung mit den Nazis kollaborierten. Freilich nennt er Namen und schildert Fakten. Es war ja für niemanden ein Geheimnis, dass Frankreich das einzige Land war, das mit der Siegermacht so bereitwillig kollaborierte.

Öffentlich aussprechen durfte man das 1969 nicht. Erst zog sich das französische Fernsehen aus dem Projekt zurück. Nun kamen, böse Pointe, die Gelder zum Großteil aus Deutschland. Die Kinoaufführung in Frankreich war 1971 ein Skandal. Ausgerechnet Charles de Gaulle verhinderte die Fernsehausstrahlung.

Ophüls hatte fortan Schwierigkeiten mit der Finanzierung seiner Projekte. In Wahrheit war der Schmutz längst im Nest. Das zeigt Ophüls mit größtem Bemühen um Fairness. Alle Seiten kommen zu Wort und der Film sagt nicht mehr als: Neben der Résistance gab es eben auch die Kollaboration – und nicht nur auf der Ebene der Regierung von Pétain und Laval.

Die Dokumentation verbindet Zeitzeugen mit Archivmaterial, ein Sprecher erläutert eher als dass er wertet oder kommentiert. Manch einer, der spricht, ist fraglos ein Held: Zwei Bauern aus der Auvergne, von denen der eine nach Buchenwald deportiert worden ist und dennoch keine Rachegefühle gegen den hat, der ihn denunzierte. Der schwule Tenor aus Großbritannien, der als Spion in Paris viel Mut beweist und sich von seinem deutschen Freund trennt, um ihn nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Der charismatische Anführer einer Widerstandsgruppe, der nach dem Krieg als Vertreter für Radio- und Fernsehgeräte reüssiert.

Aber die anderen gibt es auch: Als Vertreter der Wehrmacht ist ein bräsiger Familienvater im Bild, nach 1945 als Geschäftsmann erfolgreich, die Zigarre im Maul, selbstgefällig-süffisantes Lächeln um die Lippen, die Naziorden am Revers, das Gewissen wenig getrübt. Ein schäbiger Kerl namens Marius Klein, ein Ladenbesitzer, der einst in einer Annonce im Lokalblatt versicherte, dass er dem Namen zum Trotz nichts Jüdisches an sich hat.

Konzentriert ist der Film auf Clermont-Ferrand, nahe Vichy, der Hauptstadt des kollaborierenden Frankreich. Dies ermöglicht Ophüls vielfältige Konkretion. So individuell die Charaktere sind, und so sehr seine Entscheidung, sie in je milieuspezifischer Umgebung zu zeigen, diese Individualität noch erhöht, so sehr steht die Auswahl doch als Teil für das Ganze.

Objektivität hält Ophüls zu Recht für eine Chimäre. Aber gerade weil er und sein Film eine klar spürbare Haltung besitzen, fühlt man sich als Betrachter nie manipuliert oder getäuscht.

EKKEHARD KNÖRER

■ „Das Haus nebenan“. Regie: Marcel Ophüls, Frankreich 1971. Die DVD ist für knapp 25 Euro auch beim Label absolut Medien erhältlich