: „Die Party ist vorbei“
INTERVIEW Der Kreuzberger Reggaesänger P. R. Kantate ist Teil der Künstlerkampagne „Regieren geht auch anders“. Ein Gespräch über Skepsis, Politfrust und mögliche Alternativen
■ 39, heißt bürgerlich Richard Haus. Der Kreuzberger Reggaemusiker wurde 2003 mit seinem Song „Görli, Görli“ bekannt.
taz: P. R. Kantate, in einem aktuellen Song besingen Sie einen politischen Kater: „Die Party ist vorbei, alle fühlen sich krank.“ Woher diese Enttäuschung?
P. R. Kantate: Ich habe zuletzt viel Politikverdrossenheit und Ermüdung beobachtet. Wenn sich das auf eine Politik bezieht, die sich nur noch durchhangelt, kann ich das verstehen. Da ist die Party vorbei: das Sich-selbst-Feiern und Kohleeinstreichen. Diese Sorglosigkeit, dass es immer so weitergeht. Selbst in der Wirtschaft geht langsam auch dem dicksten und dreistesten Manager auf, dass es Wachstumsgrenzen gibt und Naturressourcen endlich sind.
Das Lied ist Ihr Beitrag zur jüngst in Berlin ins Leben gerufenen Kampagne „Regieren geht auch anders“. Künstler aller Couleur verbreiten auf dem Blog politische Gegenvisionen. Was hilft das?
Es zeigt, dass es Leute gibt, denen Politik nicht am Arsch vorbeigeht. Für mich heißt das: Ich gucke nicht nur, ob mir selbst etwas nützt in der Politik, und bin dann dafür. Sondern ich gucke ganz alltäglich: Wie handele ich selbst politisch im Alltag? Wie oft schummelt man sich durch den Tag, drückt bei sich selbst die Augen zu, verlangt aber gleichzeitig von Politikern, integer und fehlerlos zu sein? Meist ist doch nur die Frage: Gehen wir ins Berghain oder ins Yaam? Und gleichzeitig leben wir in einem Land, das wieder an Kriegen beteiligt ist. Das erschreckt mich wirklich. Als Kind habe ich Krieg nur als etwas kennengelernt, das es hier nicht gibt.
Wenn Sie regieren könnten: Was würden Sie besser machen?
Schwierige Frage. Ich freue mich auf jeden Fall über den Trend zur Bürgerbeteiligung. Überall Volksbegehren, Unterschriftenlisten, Onlinepetitionen. Demonstrieren ist auch wieder in, bis hin zum Protest gegen Kälberschlachtung für Büffelmozarella. Keine Ahnung, woher das kommt, aber ich finde es gut. Das hilft, die Politik wieder mehr in den Alltag zu holen. Ich würde auch mehr die jungen Leute einbinden, ab 16 wählen lassen.
Warum sollen sich Künstler politisch einmischen?
Das klingt ein bisschen nach Klischee, aber ich glaube schon, dass wir eine gewisse Vorbildwirkung haben. Und ich will mich auch mal anders äußern als nur durch Kunst. Das hilft mir auch zu überlegen, wo ich politisch überhaupt stehe.
Schon vor der Bundestagswahl 2009 haben Sie in einem Song aufgefordert: „Wählt mich!“ Wo stehen Sie denn politisch?
Ich bin grün geboren, in einem alternativen Elternhaus, und auch so geprägt. Ich bin aber kein Mitglied der Grünen oder finde alles toll, was da passiert. Ich bin eher ein Skeptiker. Unser demokratisches System ist okay, aber man muss es immer wieder hinterfragen. Ich sträube mich zu sagen: Da ist jetzt eine Partei mehrheitlich gewählt, und nun muss ich zufrieden sein.
Liest man die Beiträge auf dem Blog, dürften Sie dort nicht der einzige Grüne sein. Ist die Kampagne verkappte Werbung für Rot-Grün?
Hinter dem ganzen Anspruch, dass Regieren auch anders geht, steht natürlich eher eine linke Haltung. Aber ich verstehe die Seite nicht gegen Schwarz-Gelb, sondern als grundsätzliche Frage nach der richtigen Art des Regierens. Und da sind die Beiträge ja kontrovers: Die einen ganz tagespolitisch, andere poetisch, und dann gibt’s auch die Leute, die alles scheiße finden.
Hätten Sie auch einen Beitrag gegen Rot-Grün eingereicht?
Peter Fox, Juli Zeh, Hannes Jaenicke, Murat Topal, Eva Menasse, Roland Kaiser: Es begann mit rund 25 Künstlern um den Berliner Dokumentarfilmer Jakob Preuss, die Ende August ihren Unmut über die Politik zusammentrugen. Heute stehen auf der Seite „Regieren geht auch anders“ rund 100 Statements auch von Nichtpromis, wie Politik besser funktionieren könnte. Das Blog wird durch die Künstler, vorrangig Peter Fox, finanziert. So schreibt zum Beispiel der Musikproduzent Tim Renner: „Wo keine Reibung ist, entsteht auch keine Energie mehr – das weiß die Physikerin Merkel ganz genau. Politik wird durch sie zur leblosen Sache. Es ist jetzt an der Zeit, dass wir über die Rosenhecke klettern, die aussagelosen Plakate umstoßen, die Demokratie wach küssen.“ Der Schauspieler Hannes Jaenicke schreibt: „Auf Wiedersehen, liebe schwarz-gelbe Regierung. Ihr habt euch vier Jahre lang gezankt und behindert, euch von Lobbyisten herumschubsen lassen und euch mit euch selbst beschäftigt. Wir Wähler haben etwas Besseres und Engagierteres verdient.“ KO
Aus konkretem Anlass definitiv. Glauben Sie denn noch, dass es nach dieser Wahl „anders“ wird?
Ehrlich gesagt, bin ich gerade sehr, sehr skeptisch. Es läuft ja alles auf eine Große Koalition hinaus, und das finde ich – sagen wir mal, schwierig. Als wir das schon mal hatten, kam nicht viel dabei raus.
Wählen gehen Sie am Sonntag trotzdem?
Ja, da bin ich schon braver Bürger. Ich glaube, ich habe noch nie eine Wahl verpasst. Ich habe immer das Gefühl: Ey, komm, jetzt haste schon die Chance, also geh hin. INTERVIEW: KONRAD LITSCHKO