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Archiv-Artikel

Unten ist oben

ÜBERNAHME Informelle Hierarchien lassen sich nicht einfach so aufbrechen. Es braucht Ermutigung für die, die in der zweiten Reihe sitzen

Der Raum, in dem sich die taz zu ihren Redaktionskonferenzen trifft, liegt im ersten Stock des Rudi-Dutschke-Hauses. In der Mitte des Zimmers sind acht Tische zu einem Quadrat aufgestellt, 20 Leute können dort sitzen. Einen Meter dahinter gibt es einen zweiten Kreis von Stühlen, sie stehen direkt an den Wänden.

Neue PraktikantInnen setzen sich fast automatisch in die zweite Reihe. Niemand sagt ihnen vorher, dass sie dort zu sitzen hätten – in den taz-Konferenzen darf jeder reden. Aber trotzdem ist es meist der innere Kreis, der spricht. Die etablierten Redakteure, die sich seit Jahren mit ihren Themen beschäftigen, die Experten.

Wenn wir in dieser Woche die Köpfe der taz austauschen, dann wollen wir die Leute von der zweiten in die erste Reihe holen. Bis zur Samstagsausgabe lesen Sie eine Zeitung, die maßgeblich von Menschen gestaltet wird, die jünger sind als die taz. Zum 31. Geburtstag werden eine Woche lang alle redaktionellen Leitungsposten von tazlern unter 31 Jahren besetzt – Volontärinnen, Praktikanten, jungen Redakteurinnen. Die vorherigen Chefs werden zu Mitarbeitern.

Das Projekt soll keine Saturnalien sein, keiner dieser Feiertage im Alten Rom, an denen die Sklaven für einen Tag die Herren sind und nach denen alles weitergeht wie zuvor. So etwas brauchen wir nicht, wir sind keine Sklaven: Die taz ist schon heute jung – der jüngste Ressortleiter ist 30 Jahre alt. Schon jetzt schreiben Volontäre Aufmacher auf der Seite eins, prägen viele von uns die taz entscheidend mit.

Vielleicht wäre die beste Zeitung die, in der sich kaum etwas änderte, wenn innerhalb der Redaktion Hierarchien getauscht würden. Weil sowieso die interessantesten Themen in die Zeitung kommen – egal, ob sie vom Praktikanten vorgeschlagen werden oder von der Ressortleiterin. Aber an Tageszeitungen sehen wir hier, was für unsere Gesellschaft gilt: Es funktioniert nicht, sich darauf zurückzuziehen, dass sich Gutes von allein durchsetzt, dass es keinerlei Regulierung in diesem Prozess braucht. Viele Menschen, die etwas beitragen könnten, brauchen ermutigende Strukturen. Ihren begegnen Barrieren, Verhaltenscodes, die ausschließen. Stuhlreihen. Daran müssen wir in allen Bereichen der Gesellschaft arbeiten.

Vielleicht stellen wir im taz-Konferenzraum in dieser Woche noch ein paar Tische dazu. Damit es nur noch eine erste Reihe gibt. Und dort bleiben wir dann auch nach diesem Samstag sitzen. LUISE STROTHMANN

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