: „Keiner weiß, wer die Grünen sind“
INTERVIEW GEORG LÖWISCH UND PETER UNFRIED
taz: Herr Salomon, früher war der ranghöchste Grünen-Politiker Vizekanzler, heute ist es der Freiburger Oberbürgermeister. Was sagt uns das?
Dieter Salomon: Diese Platte kenn ich schon. Sie hat einen Sprung. Alle, die das sagen, wollen nicht ausdrücken, wie toll mein Amt ist, sondern was die Grünen für eine komische Partei sind und dass sie eigentlich nicht mehr existieren.
Sie haben das wichtigste Regierungsamt der Partei.
Das ist ein kommunales Amt. Man kann das nicht vergleichen mit einem Fraktionsvorsitzenden im Bundestag oder im Landtag. Die haben nicht weniger Verantwortung als ich. Außerdem haben wir in Baden-Württemberg mehrere grüne Oberbürgermeister. Konstanz, Mühlacker, diese Städte sind etwas kleiner, aber das Amt ist dasselbe.
Sie haben mehr Gestaltungsspielraum.
Wenn ich mir meine Finanzlage anschaue, dann hat der Bürgermeister von Umkirch, das ist ein Freiburger Vorort, mehr Gestaltungsspielraum.
Wer ist denn dann der führende Grüne?
Im Bund sind das zwei Doppelspitzen und Jürgen Trittin.
Das macht fünf. Sind das zu viele?
Ich glaube, dass die Zeit der Doppelspitzen sich endgültig überlebt hat. Es können nicht so viele den gleichen Laden leiten. Die Partei findet nur keinen Weg, davon runterzukommen. Offiziell war die Doppelspitze wegen der Geschlechterquote nötig und später, damit Fundis und Realos zum Zuge kommen. Da es die Flügel so nicht mehr gibt und die Frauen in allen Fraktionen mindestens zu 50 Prozent vertreten sind, gibt es überhaupt keinen Grund für Doppelspitzen.
Was haben Sie gegen Doppelspitzen?
Die Abstimmung ist schwierig, die Hierarchien sind unklar und in den allermeisten Fällen führt es zu Konkurrenzsituationen, was die Produktivität nicht verdoppelt, sondern halbiert. Ich war ja Fraktionschef im Landtag und da wäre eine Doppelspitze tödlich gewesen. Politik ist nicht immer so wichtig, dass sie zwei Leute von der öffentlichen Wirkung her ernährt.
Die Medien ernähren die Politiker?
Es ist für den einzelnen Abgeordneten ganz schwierig, überregional wahrgenommen zu werden. Sie müssen sich schon auf den Kopf stellen und mit den Füßen wackeln. Als Fraktionsvorsitzender haben sie den Medienzugang, aber sie müssen was draus machen. Wenn es zwei Chefs sind, dann reicht der Resonanzboden nicht aus, um wahrgenommen zu werden.
Das ist vielleicht für die Chefs ein Problem. Aber warum soll das schlecht für die Partei sein?
Es mag ja interessant sein, dass man sich aussuchen kann, ob man sich von Claudia Roth oder Reinhard Bütikofer vertreten fühlt. Aber für die Wähler ist das ein Problem. Kein Mensch weiß, wer eigentlich die Grünen sind. Da bin ich vielleicht etwas einfach gestrickt, aber ich glaube, die meisten Wähler sehen das so. Wir haben einen personellen Overkill in zu wenig bedeutenden Funktionen.
Trotz der vielen Chefs auf Bundesebene waren die Grünen in Baden-Württemberg erfolgreich: 11,7 Prozent nach dem schlechten Ergebnis von 2001 mit dem damaligen Spitzenkandidaten Salomon. Wie ging das denn?
Ich bin froh, dass meine Scharte von damals so gut wie ausgewetzt wurde. Aber mich hat das nicht so verwundert, auch der Absturz der SPD nicht. Der Bundestrend war 2001 für die SPD viel besser und für uns viel schlechter. Und das damalige Duell zwischen der jungen, attraktiven, vollmähnigen Ute Vogt und dem etwas abgekämpft wirkenden Erwin Teufel war eine große Mediengeschichte. Diesmal hat das Thema der SPD völlig gefehlt.
Waren die Grünen also nur gut, weil Vogt durch war?
Zum Teil sind das kommunizierende Röhren.
Und programmatisch war da nichts?
Wer kennt denn das Landtagswahlprogramm der Grünen? Ehrlich gesagt: Ich habe es nicht gelesen.
Vergangene Woche sind in Baden-Württemberg die Sondierungsgespräche zwischen CDU und Grünen gescheitert. Allerdings hatten sich einige in der Union für Schwarz-Grün ausgesprochen. Was mag die CDU in Baden-Württemberg an den Grünen?
Die CDU konnte die Grünen in Baden-Württemberg immer mit Persönlichkeiten verbinden, die oft auch bundesweit wichtig wurden. Man hat sportlich die Klinge gekreuzt und sich gemocht. Obwohl es immer nur ein Flirt war: Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert.
Und warum ist jetzt wieder nichts passiert?
Machtpolitisch ist die FDP für die CDU interessanter. Da waren schwarz-grüne Sondierungen ein netter Gag, um die FDP weich zu kochen. Und für die Grünen war es ganz schön, auch mal wichtig zu sein.
Ist der Versuch nicht an Inhalten gescheitert?
Über was wird in einem Land entschieden? Über den Atomausstieg nicht. Wenn der Oettinger sagt, er will die Atomkraftwerke länger laufen lassen, und die Grünen sagen, das geht nicht, dann muss man das Thema ausklammern. Das kann aber nicht schwer sein, weil es eh nicht im Land entschieden wird. Im Land geht’s um Ganztagsschulen, Kindergärten, Hochschulpolitik, Nahverkehr und Straßenbau. Ja, warum soll das nicht funktionieren? Aber Oettinger wollte nicht den Ärger mit der eigenen Basis haben.
In Frankfurt scheint es Schwarz-Grün zu geben. Muss man nicht langsam mal sagen, dass so ein Bündnis nur was für Städte und Gemeinden ist?
Beide Parteien müssten schon noch über einige Schatten springen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass beide eine weitere Option brauchen. Wir werden dauerhaft ein Fünfparteiensystem haben in Deutschland. Da kann die CDU nicht naturgesetzlich davon ausgehen, dass sie bei 45 Prozent landet und die FDP mit 10 Prozent dabei ist.
Das heißt, Sie geben der Linkspartei Chancen, sich zu etablieren?
Ja. Weil die SPD in einem Dilemma steckt: Sie kann entweder ihr Wissen über die Gesellschaft ignorieren. Dann macht sie die Lafontaine-Nummer und vergrault die bürgerlichen Wähler, die sie noch hat. Wenn sie es anders macht, wächst die Linke.
In dieser Anordnung schieben Sie die Grünen in die Mitte.
Die Grünen sind in der Mitte. Aber ich weiß, dass sich Grünen-Wähler links verorten. Das liegt daran, dass längst nicht mehr klar ist, was eigentlich links ist. Der Ver.di-Streik wurde von vielen, auch von Grünen, nicht als links empfunden. Der wird nur noch als idiotisch empfunden.
Warum betrachten Sie Schwarz-Grün nur aus strategischer Parteiensicht? Anhänger dieses Bündnisses hoffen auf zwei Kräfte, die ihre Kompetenzen bündeln, damit sich was tut.
Inhaltlich ginge das, aber kulturell geht es noch nicht. Weil man zu lange eingeübt hat, die CDU ist doof beziehungsweise die Grünen sind doof. Aber natürlich haben beide ein Interesse an der Option. Die CDU, weil sie sich nicht von der FDP abhängig machen will. Und die Grünen haben ein Interesse an einer Option jenseits der wackeligen SPD. Ob Rot-Grün je wieder kommt, weiß bei der Entwicklung der SPD kein Mensch.
Warum haben Sie eigentlich keine schwarz-grüne Koalition im Freiburger Gemeinderat?
Das wäre gegen die baden-württembergische Gemeindeordnung. Hier wird von Tagesordnungspunkt zu Tagesordnungspunkt entschieden.
Gerade denken Sie darüber nach, 9.000 städtische Wohnungen zu verkaufen, um den Haushalt zu sanieren. Die SPD ist dagegen, aber mit einer schwarz-grünen Mehrheit könnten Sie das hinkriegen.
Ich muss in die Zukunft investieren: Bildung, Kultur und Verkehrsinfrastruktur. Aber ich kann mir das im Moment nicht leisten. Und zwar gar nicht leisten. Die Haushaltsprognosen sind exorbitant schlecht. Ich müsste Leute entlassen, aber das geht nicht. Ich müsste Einrichtungen schließen, aber das ist nahezu unmöglich und würde auch gar nicht die nötigen Summen bringen.
Ist das nicht ein gutes Beispiel, um den Unterschied zwischen SPD und Grünen zu kennzeichnen? Die Antworten auf diese soziale Frage?
Eine Sozialwohnung bleibt eine Sozialwohnung, egal ob sie der Stadt gehört. Die Frage „öffentlich oder privat“ kann man schon stellen, wenn man schaut, was man vertraglich absichern kann. Wir möchten ja die städtische Aufgabe beibehalten, Menschen mit Wohnraum zu versorgen. Wohnungen zeichnen sich ja dadurch aus, dass ein Investor sie nicht wegtragen kann.
Die Wohnungen nicht, aber die Mieter vielleicht.
Wenn man über die Verträge hinkriegt, dass die Mieten nicht explodieren und die Mieterrechte gewahrt bleiben, gibt es keinen Grund, warum eine Stadt Eigentümerin dieser Wohnungen sein muss.
Wir hatten nach der SPD gefragt.
Auch die SPD muss in Alternativen denken. Wenn wir es nicht machen, darf sich der Gemeinderat in den nächsten Jahren mit Straßenbenennungskommissionen und anderen tiefschürfenden Themen befassen. Dann ist die Stadt handlungsunfähig.
Im letzten taz-Interview sagten Sie, den Stuttgarter Landtag ertrage man nur mit Humor oder im Suff. Wie machen Sie es mit der Kommunalpolitik? Lachen oder Saufen?
Ich hab’ für meine letzte Antwort gebüßt. Da sag’ ich nichts mehr zu.
Warum sind Sie eigentlich nicht in der SPD?
Das finde ich jetzt mal eine gute Frage. Normalerweise werde ich immer gefragt, warum ich nicht in der CDU bin.
Anders als viele Grüne kommen Sie nicht aus dem städtischen Bildungsbürgertum. Ihre Eltern hatten ein Wirtshaus im Allgäu, Sie haben ihre Ausbildung mit Stipendien finanziert.
Ich bin Jahrgang 1960, komme vom Land und habe mit 17, 18 Jahren angefangen, mich politisch zu beschäftigen. Da ging’s um den Kampf gegen Atomkraft und eine gute und gerechte Welt. Wir haben im Allgäu viele Parteiveranstaltungen besucht. Bei der CSU, um zu rebellieren, bei der SPD, um zu pöbeln, was das für ein lascher Haufen ist. Die SPD hätte mich gerne gehabt. Aber wegen des Atomprogramms von Helmut Schmidt wäre ich nie eingetreten. Die Grünen wurden also für mich gemacht.
Was ist noch einzigartig bei den Grünen? Die Ökologie?
Letztlich ja. Die Ökologie und ein liberales, tolerantes und emanzipatorisches Verständnis von Gesellschaft. Das haben andere Parteien auch, aber nicht in dieser Kombination. Das sind die Grünen.
Dürfen wir noch eine Frage zu Fischer stellen?
Ja, aber dann muss ich weg.
Wann muss ein Patriarch gehen?
Fischer ist gegangen. Der Abgang war gut.
Und Volker Finke vom SC Freiburg?
Nächste Frage.
Fischer hat den Klub in die Champions League geführt und wieder zurück in die zweite Liga. Dann ging er. Finke führte den Klub in die zweite Liga zurück und blieb.
Ja, dann hoffen wir doch, dass es wieder nach oben geht.