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Archiv-Artikel

Whiskey statt Sekt in Wiesbaden

HESSEN Ein denkwürdiger Abend in der Landeshauptstadt: Es reicht für Rot-Rot-Grün – oder Schwarz-Grün. Am euphorischsten sind die Linken, die Liberalen trösten sich mit Hochprozentigem

Das Schöne ist , dass es nur einen wirklichen Verlierer gibt. Denn auch die Grünen feiern, dass ihre Verluste nicht so verheerend ausgefallen sind, wie das in Hessen manche erwartet haben

WIESBADEN taz | Als einzige Partei an diesem denkwürdigen Abend feiert die SPD ihre Wahlparty nicht im hessischen Landtag, sondern im Restaurant „Lumen“, nur einen Steinwurf entfernt. Dort parken auch Übertragungswagen, wenn auch weniger als vor dem Landtag, in dem alle großen Sender ihre Studios aufgebaut haben. Im zweiten Stock ist sogar das Hitradio FFH vertreten. Torsten Schäfer-Gümbel hat nebenan erst einmal Probleme mit dem Mikro, ist zunächst gar nicht zu verstehen, lobt aber wohl seine Partei, auf die man sich „verlassen“ könne. Und dann der Satz: „Wir wollen gestalten und nicht nur zuschauen.“

Ist das ein Angebot für eine Große Koalition? Oder doch die Ankündigung eines breiten Linksbündnisses, vielleicht einer Duldung durch die Linken? Es ist erst 19.32 Uhr, es dämmert in Hessen, und noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt.

Das Schöne an den „hessischen Verhältnissen“, also der faktischen Unregierbarkeit dieses Landes, ist der Umstand, dass es nur einen wirklichen Verlierer gibt. Im Landtag begegnen sie sich alle. Torsten Schäfer-Gümbel steht allein mit seiner Frau, Volker Bouffier flankiert von sechs Personenschützern, während Tarek Al-Wazir noch in der Maske ist. Das breiteste Lächeln des Abends trägt Linken-Chefin Janine Wissler spazieren. Nur bei der FDP herrscht Begräbnisstimmung. Whiskey wird gereicht, der Sekt verschmäht. Florian Rentsch, der Noch-Wirtschaftsminister, sagt: „Es wird ein neues Zeitalter beginnen, wir dürfen nicht nur das Korrektiv der Union sein.“ Die Liberalen, das scheint klar, fühlen sich zwischen den großen Parteien zerrieben und ihre Regierungsarbeit nicht gewürdigt. Ähnlich sieht das auch Jörg-Uwe Hahn, der mit auffällig roter Nase, rudernden Armen und flackerndem Blick sichtlich niedergeschmettert wirkt. Der Justizminister und stellvertretende Ministerpräsident der FDP kündigt zunächst unaufgefordert „personelle Konsequenzen“ an, bevor er die Möglichkeit beschwört, seine Partei könne am Ende doch noch „mit 5,001 Prozent“ in den Landtag einziehen. Denn einen Landtag, vielleicht sogar „einen Bundestag ohne die FDP kann ich mir überhaupt nicht vorstellen“. An dieser Stelle erntet er auf der Wahlparty der Grünen schallendes Gelächter.

Die Grünen feiern, dass ihre Verluste nicht so verheerend ausgefallen sind, wie das in Hessen manche erwartet haben. So gibt der Abgeordnete Mathias Wagner zu Protokoll: „Es gab Gegenwind aus Berlin. Wir sind froh, dass wir besser als die Bundespartei abgeschnitten haben.“ Was er meint, ist klar: Die Pädophilie-Debatte kam auch den hessischen Grünen nicht gelegen.

Besonders euphorisch reagieren die Linken bei ihrer Wahlparty zu Häppchen und Gemüse direkt unter dem holzvertäfelten Dach des Landtags. Als klar wird, wie knapp das Ergebnis ausfällt, meint ein Genosse: „Oh, das haben wir auch nicht gewollt.“ Auf jeden Fall befindet sich die Partei in einer denkbar komfortablen Position, ganz gleich, wie das amtliche Endergebnis aussieht. Ein wenig scheint es, als wären alle Politiker – bis auf die FDP, versteht sich – ziemlich stolz auf ihre „hessischen Verhältnisse“. Spannend bleibt es nicht nur in der Wahlnacht, spannend wird es auch in den kommenden Monaten. ARNO FRANK