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„Wir sind Gesangsdeutsche“

Mit einem Country-Song will „Texas Lightning“ den Eurovision Song Contest am 20. Mai in Athen gewinnen. Warum Jane Comerford, Olli Dittrich und Jon Flemming Olsen fest an ihre Chance glauben

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

taz: Frau Comerford, Herr Dittrich, Herr Olsen, sind Sie noch überrascht?

Olli Dittrich: Wovon?

Dass Sie die deutsche Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest gewonnen haben?

Jon Flemming Olsen: Wir freuen uns immer noch, das ist wahr.

Jane Comerford: Und auch, obwohl wir erfahrene Musiker sind. Der Sieg hat uns alle überwältigt.

Der NDR hatte Texas Lightning angeblich gar nicht auf der Rechnung.

Dittrich: Das haben wir keineswegs so empfunden. Als uns die Produktionsfirma im Herbst letzten Jahres fragte, ob wir Lust hätten, beim deutschen Vorentscheid zum Grand Prix mitzumachen, war klar, dass jeder Kandidat Chancen hat.

Keine Manschetten nach dem letzten Platz von Gracia im vorigen Jahr in Kiew? Eine Teilnahme am Grand Prix kann ja karriereschädigend sein.

Dittrich: Nee, warum das denn?

Olsen: Bei uns hängt, wenn man so will, die Latte einfach nicht so hoch, um eine Karriere kaputtzumachen. Wir haben keine zig Millionen Tonträger verkauft.

Comerford: Unsere Band ist gewachsen, wir haben schon vor dem Grand Prix auf der Bühne gestanden und werden das mit Freude auch danach tun, egal wie es in Athen ausgeht.

Was eine perfekte Plattform für eine Band wie die Ihre war.

Dittrich: Bislang haben wir nur Fremdrepertoire gespielt. Zum Beispiel „Waterloo“ von Abba, Madonnas „Like A Virgin“ oder Reinhard Meys „Über den Wolken“ in einer eigenen englischen Spezialfassung. Durch den Grand Prix haben wir die große Chance, zu sehen, wie weit Texas Lightning mit einem eigenen Song kommen kann.

Alles auf Country?

Olsen: Ja klar. Das ist eben unser Sound.

Warum gerade der ästhetische Stil, der amerikanischer kaum sein kann?

Olsen: Weil diese Musik uns Freude macht.

Dittrich: In den Fünfzigern hätte niemand Peter Kraus gefragt, weshalb er Rock’n’Roll macht, der komme ja aus Amerika.

Olsen: Es jammert ja auch Gott sei Dank keiner drüber, dass der Soul, den Xavier Naidoo singt, amerikanischen Ursprungs ist oder Seeeds Reggaesound jamaikanische Wurzeln hat.

Dittrich: Deutschland hat immer wieder große Unterhaltungsmusik hervorgebracht, ist aber auch immer inspiriert worden durch die Musikkultur anderer Länder. Country ist bei uns vielleicht eine Überraschung, weil traditionellere Stile wie der Rock’n’Roll, Blues oder Soul andere Routinen haben.

Olsen: Der einzige Unterschied ist der, dass die Frage, warum man als Deutscher zum Beispiel Rock’n’Roll spielt, schon vor 40, 50 Jahren abgearbeitet worden ist. Warum man sich als Nichtamerikaner dem originären Countrysound widmet, scheint die Medien dagegen noch richtig aufzuwühlen.

Comerford: Amerikaner sagen, dass wir gerade nicht amerikanisch klingen, sondern authentisch nach etwas Eigenem. Das finden sie dann besonders gut. Ich selbst kultiviere zum Beispiel bewusst keinen Dolly-Parton-Akzent. Auch Jon Flemming hat seine ganz eigene Aussprache.

Dittrich: Ich würde sagen, wir sind wir.

Country ist hip: Erasures neue Platte klingt wie ein Knicks vor diesem Stil, „Brokeback Mountain“ spielt in dieser musikalischen Landschaft.

Olsen: Mag sein, dass Country auch hierzulande hipper wird. Das wäre schön. Aber jenseits dessen: Die Dinge, wofür die USA in den letzten Jahren international in die Kritik geraten sind – und dies zu Recht – haben nichts mit Musik, auch nichts mit Countrymusic, und schon gar nichts mit uns zu tun.

Comerford: Country kann auf eine schöne Art Sehnsucht ausdrücken, eine Sentimentalität, die bezaubern kann.

Olsen: Countrymusic hat ihre Wurzeln in eben in Amerika. Wenn man diese Musik mag, heißt das nicht zwangsläufig, dass man alles, was aus den USA kommt, bedingungslos befürwortet.

Dittrich: Ist doch hanebüchen, das überhaupt zu vergleichen. Fehlt nur noch, dass einer kommt und sagt: George W. Bush war ja Gouverneur in Texas und deswegen ist die Band scheiße.

Sie meinen die Position, Amerika habe in Europa so einen schlechten Ruf, dass ein Countrysong nur unter ferner liefen rangieren kann?

Dittrich: Ein völlig absurder Gedankengang. Musik ist Musik – und ein guter Song ist ein guter Song. In Athen kann man sich blamieren oder einen wirklich guten Eindruck hinterlassen, und das hat mit dem Song, der Band und ihrer Performance zu tun. Mit nichts anderem.

Können Sie sich erklären, warum Texas Lightning die Vorentscheidung so deutlich gewonnen hat? Liegt das am Grimmepreis-Träger in der Band?

Comerford: Wir hatten uns als Band auf den Auftritt gefreut. Den Moment ersehnt …

Olsen: … und ihn dann auch genießen können. Wir haben einfach so gespielt, wie wir es uns erträumt haben. Als wir nach „No No Never“ von der Bühne gingen, waren wir glücklich, weil wir wussten: Besser hätten wir es nicht machen können.

Dittrich: … und das hat mit meinen Grimme-Preisen Gott sei Dank herzlich wenig zu tun. Die Leute haben doch erlebt, dass wir eine Einheit sind, keine Casting-Truppe, die sich Cowboyhemden anzieht, weil das eine neue Masche ist.

Olsen: Den meisten Anrufern, die für uns gevotet haben, ist dieser Preis außerdem garantiert völlig unbekannt.

Comerford: Wir haben das von Anfang an als Abenteuer gesehen. Eine unglaubliche Öffentlichkeit ist jetzt für uns da – und ich dachte, ich gucke nicht richtig, als wir in den Viva-Charts auftauchten. Etwas von unserem Spirit muss angekommen sein.

Dittrich: Und ich bin einer von fünf – kein Solist.

Comerford: Soweit man als sterblicher Mensch diese Dimension begreifen kann, was in der Kunst, in der Musik für Zwischenschwingungen entstehen: Wir wissen, dass es sie gibt. Und wir suchen zu finden, was wir sind.

Und der Zwischenstand darüber, wer Sie sind?

Comerford: Das ist zu detailliert gefragt. Wir suchen.

Dittrich: Ogottogott. Wir verstricken uns jetzt hier aber sehr in verqueren Überlegungen. Texas Lightning ist eine Band, deren Mitglieder sich mögen, mehr noch: Freunde sind. Das ist schon ein Geschenk an sich. Hört sich klein an. Ist aber viel mehr als das, was man nur über unsere Musik berichten könnte.

Am 20. Mai kommt es darauf an, dass diese Chemie stimmt.

Dittrich: Arglos oder begriffsstutzig sind wir nicht, es geht auch um kommerzielles Bewusstsein und Professionalität. Ganz pathetisch gesprochen haben wir auch Verantwortung.

Wofür?

Dittrich: Wir gehen für Deutschland ins Rennen. Das hat schon einen besonderen Stellenwert. Ist ja auch nicht ehrenrührig. Mir geht es da wie einem Sportler bei den Olympischen Spielen, der sich im Wettkampf auf sich und seine Leistung konzentriert, aber für sein Land auf dem Treppchen stehen will. Und auch mal ein Träne verdrückt, wenn die deutsche Fahne hochgezogen wird.

Sie sind Deutschland?

Olsen: Ja und nein. Nein zu sagen ist in diesem Zusammenhang aber möglicherweise auch schon wieder etwas typisch Deutsches. Jeder von uns hat dazu wahrscheinlich eine eigene Idee.

Dittrich: Dittsche würde wahrscheinlich sagen: „Jane ist Gesangsdeutsche. Genauso wie Owomayola und Asamoah Fußballdeutsche sind.“

Comerford: Ich bin seit 25 Jahren in diesem Land und habe so viele tolle Sachen erlebt. Ich sehe mich als Weltbürgerin, aber Deutschland ist meine zweite Heimat.

In Athen dabei sein ist alles?

Dittrich: Wenn man nicht gewinnen will, braucht man an einem Wettbewerb nicht teilnehmen. Heißt aber nicht, dass wir jetzt schon glauben, Gewinner zu sein. Ein feiner Unterschied. Wer einem das Wort im Munde umdrehen wollte, könnte jetzt sagen: Jetzt hamse wohl schon zu viel Schampus inner Birne.

Olsen: It’s a thin line between stupid and clever.

Dittrich: Wir machen schöne Musik und wissen, was wir können. Hoffentlich auch dann, wenn es darauf ankommt. Beim Auftritt. In einer Halle vor 9.000 Leuten und 300 Millionen TV-Zuschauern.

Keine Ausreden jetzt schon, falls es nicht so klappt?

Dittrich: Auch Ronaldinho hat mal einen schlechten Tag, bleibt trotzdem ein Spitzenfußballer, weil er keine Ausreden sucht, wenn er patzt.

Olsen: Wir haben die Chance, vielen Menschen zu zeigen, was wir spielen, was wir können und wer wir sind: eine tolle Band mit einem tollen Song. Das ist das, glaube ich, was wir sowieso erreichen können, egal auf welchem Platz wir hinterher damit landen – wenn uns nicht vorher ein Bein abfault oder so.

Dittrich: Dann hieße es wenigstens: Deutschland mit einem Bein im Finale!

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