STADTMUSIKANTEN : Heimat, die anderen
Der Schnupfen ist besser geworden. Der von der Tochter und meiner. Ich merke es daran, dass ich den Esel rieche, und daran, dass die Tochter ruft: „Der Esel ist wach!“ Wir sind zu früh, also biege ich ab in die Hasenheide. Wir stapfen durch ein paar Büsche, und ich muss die Tochter hochheben, sodass sie ihn sehen kann. Wir fahren den Hügel wieder hinab, vorbei an dem schlafenden Minigolfplatz, und biegen zurück auf die Straße. In der Mitte der rechten Fahrbahn liegt ein überfahrener Fuchs. Ein Lkw muss ihn erwischt haben. Sein Gesicht sieht verzerrt aus, als würde er es in seinem Fuchshimmel amüsant finden, dass nun jeder Zweite, der von Kreuzberg nach Neukölln fährt, über ihn hinwegmuss.
Wir halten an einer Ampel. Neben uns eine Frau auf einem Hollandrad. Menschen auf derartigen Fahrrädern sehen immer ein wenig aus, als hätten sie eine Gehschwäche. Sie sieht uns so an, wie ich sie ansehe. Macht nichts, es ist kurz nach acht. Ihre Hosenbeine sind hochgerutscht. Sie trägt Socken, die von kleinen, gepunkteten Schildkröten strukturiert sind. Auf der anderen Straßenseite stützt sich ein Betrunkener mit der rechten Hand an dem Ampelmast ab, während er laut schimpfend mit einer Sektflasche, die er in der anderen hält, auf uns deutet. Er steht noch immer dort, als wir an ihm vorbeifahren. Man hätte alles parat für die Berliner Stadtmusikanten: unten der Esel, auf ihm der Besoffene, auf der einen Schulter der platte Fuchs, auf der anderen eine Socke.
Ach ja, meine Heimat, denke ich, nachdem ich die Tochter gebracht habe, und ich bin so hundemüde an diesem Morgen, sonst würde ich so etwas nicht denken. Die Band Monostars singt: „Heimat ist dort, wo ich gerne wär, doch das trifft’s auch nur ungefähr.“ Ich denke, Heimat, das sind immer die anderen. Die Wolken über dem Hermannplatz sehen aus wie geronnene Milch. BJÖRN KUHLIGK