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Archiv-Artikel

Am Ende des Aufbruchs

KUNSTVERMITTLUNG Mit dem Berliner Kunstraum Tanas schließt ein wichtiger Ausstellungsort der deutsch-türkischen Begegnung

Tanas entwickelte sich zu einer Art unerklärten Kunsthalle Istanbuls in Berlin

VON INGO AREND

Mis, müsmüsüz, müsfermis. Jeder, der schon einmal über die Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg geschlendert ist, kennt die ornamentartigen Kürzel an der Fassade des Mietshauses Nr. 18. Immer noch bleiben Besucher vor dem Eckhaus stehen, um die seltsame Installation zu enträtseln: Verbindungen, die vergangene Ereignisse beschreiben. Kaum einer dürfte wissen, dass Ayse Erkmens Arbeit „Am Haus“ einmal Teil einer historischen Ausstellung war.

„Iskele“ hieß die Schau, die 1994 in Stuttgart, Bonn und Berlin gezeigt wurde. Das Staatliche Institut für Auslandsbeziehungen (IFA) präsentierte ein Novum: neun Künstler aus der Türkei. Und wer die Schau damals sah, war überrascht, wie wenig „türkisch“ oder „orientalisch“ die Kunst war, die dort gezeigt wurde. So sehr argumentierten die zwischen 1938 und 1963 geborenen KünstlerInnen vom Bosporus auf Augenhöhe mit der westlichen Gegenwartskunst: mit Fotografie, Videos und Installationen.

Fähranleger in Istanbul

Natürlich war der Name der Ausstellung Programm. „Iskele“ ist das türkische Wort für „Abfahrt“. So heißen auch in Istanbul die Landungsbrücken für die vielen Fähren. Er wolle damit einen Dialog beginnen, schrieb einer der Initiatoren im Katalog: René Block, legendärer Berliner Fluxus-Galerist, Joseph-Beuys- und John-Cage-Freund und damals noch Leiter der IFA-Ausstellungen. Es ging um den Aufbruch nach Westen. Mit „Iskele“ begann Block eine Reise, die die Grenzen des Kunstsystems West nachhaltig erweiterte. Ein Jahr nach der Ausstellung wurde er zum Kurator der jungen Istanbul-Biennale berufen. Nicht nur dort machte er die Erfahrung, dass die „neuen Inhalte in den letzten Jahren häufig von Künstlerinnen aus der sogenannten Peripherie“ kamen, wie er sich im Rückblick erinnert.

Als Museumschef am Kasseler Fridericianum präsentierte er 2003 mit einer großen Schau die Kunst „In den Schluchten des Balkan“. Der Liebe zur unbotmäßigen Kunst aus der Türkei blieb er aber treu. 2007 gründete er für die private Vehbi-Koç-Foundation in dem urbanen Niemandsland hinter dem Berliner Hauptbahnhof den Kunstraum Tanas.

„Tanas“ – das Wort ist das Spiegelbild des türkischen Wortes für Kunst, „Sanat“ – entwickelte sich zu einer Art unerklärten Kunsthalle Istanbuls in Berlin. Schon die Eröffnungsausstellung „Küba“ 2008 war ein großer Erfolg. Auf vierzig im Raum verteilten TV-Bildschirmen ließ der deutsch-türkische Filmemacher Kutlug Ataman Bewohner des gleichnamigen Istanbuler Armenviertels aus ihrem Leben erzählen. Hier stellte Block aber auch Künstler wie den türkischen Politstar Halil Altindere dem deutschen Publikum vor.

Tanas ging es aber immer um mehr als um visuelle One-Night-Stands. Der Kunstraum brachte eine zwölfbändige Reihe mit Monografien der wichtigsten türkischen Künstler heraus. Zweimal präsentierte die Istanbul-Biennale bei Tanas eine Preview auf ihr Programm.

Zusammen mit dem, ebenfalls von Koç getragenen, Istanbuler Kunstraum ARTER entwickelte sich der nichtkommerzielle Raum zu einer Anlauf- und Auskunftsstelle in allen Sachen deutsch-türkische Kulturbeziehungen – eine Luftbrücke Berlin-Istanbul.

Eine enge Länderperspektive war freilich nie Blocks Sache. Wie sich sein Anliegen seit dem Beginn der neunziger Jahre geändert hat, kann man an der zweiten Iskele-Ausstellung ablesen, die nun im Neuen Berliner Kunstverein und bei Tanas zu sehen ist. Weniger national fokussiert als der Auftakt vor 17 Jahren changiert „Iskele 2“ zwischen einer interkulturellen Bilanz und einer René-Block-Gedächtnisausstellung.

Zu den türkischen Altmeisterinnen Hale Tenger oder Gülsün Karamustafa sind viele jüngere hinzugekommen: wie der 1971 geborene Ali Kazma, der in diesem Jahr die Türkei auf der Venedig-Biennale vertrat. Dabei sind aber auch der Rumäne Dan Perjovschi, der Däne Bjørn Nørgaard, die junge Deutsche Alicja Kwade. Aber auch der Altmeister der Konzeptkunst, Lawrence Weiner, Mona Hatoum oder Rosemarie Trockel – allesamt good old friends von Block. Ost und West stehen in dieser Schau ganz selbstverständlich nebeneinander.

Immer sind diese Arbeiten ein Spiegel der politischen und sozialen Situation ihres Ortes und ihrer Zeit. In Ahmet Ögüts Animationsfilm „Light Armoured“ von 2013 sieht man in einem Endlosloop ein Militärfahrzeug der türkischen Armee, das immer wieder von Steinen getroffen wird. Und Olaf Metzel hat Bilder von den Taksim-Unruhen mit Digitaldruck auf zerknüllte Aluminiumbleche aufgetragen.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Umbrüche in der Türkei will man nicht recht glauben, dass Tanas nun tatsächlich schließt. Nach fünf Jahren mag die Kunst aus der Türkei womöglich in Deutschland angekommen sein. „Die selbst gestellte Aufgabe erscheint mir erfüllt“, begründete Block kürzlich in einem Brief an alle Tanas-Freunde die Schließung.

Barrierefrei funktioniert der Austausch zwischen den beiden Kulturen aber längst nicht. Stichwort: Mordserie der NSU – ein Thema, das seltsamerweise nie ein kritisches Echo bei Tanas fand. Jeder Raum der deutsch-türkischen Begegnung, der jetzt schließt, ist einer zu viel.

Die Arbeit von Iskele-Veteranin Ayse Erkmen, die der Ausstellung den Titel gibt, ließe sich als Symbol für dieses offene Problem nehmen. Zu Beginn steht ihre Installation „The Answer“ aus gebogen verschraubten Rohren: Am Ende bleibt eben immer ein Fragezeichen.

■ „The unanswered Question. Iskele 2“. Neuer Berliner Kunstverein, Tanas, Berlin. Bis 3. November, Katalog, Verlag der Buchhandlung Walther König, 5 Euro