: Schock im Ortsverein
Platzeck fällt nun als Hoffnungsträger für die Bundes-SPD aus
BERLIN taz ■ Wie stark Matthias Platzeck gesundheitlich angeschlagen ist, haben nicht einmal die Genossen aus seinem eigenen Ortsverein geahnt: Die Sozialdemokraten in Potsdam-Babelsberg stand gestern unter Schock. „Ich muss das erst mal sacken lassen“, sagte der Vorsitzende Dieter Jetschmanegg hörbar perplex. „Sie können davon ausgehen, dass er uns seinen Schritt nicht angekündigt hat.“ Jetschmanegg ist im Hauptberuf Referent des Potsdamer SPD-Oberbürgermeisters, kennt Platzeck seit Jahren und gilt gewöhnlich als ordentlich informiert in Fragen der SPD in Brandenburg.
Immerhin war er gestern mit seiner Überraschung nicht allein. „Er stand seit Wochen unter Strom, das wussten wir“, räumte Arndt Gilka-Bötzow, Mitglied des Ortsvereins ein, „aber wir sind davon ausgegangen, dass er den Hörsturz wegsteckt.“ „Über Rücktritt“, versicherte die stellvertretende Ortsvorsitzende Babette Reimers, „hat hier doch kein Mensch geredet.“ Jedenfalls nicht über Platzecks Rücktritt als SPD-Bundesvorsitzender.
In Brandenburg, wo Platzeck zudem Ministerpräsident und Landesparteichef ist, habe es, so Reimers, dagegen seit Monaten Diskussionen darüber gegeben, ob Platzeck allen drei Ämtern dauerhaft gerecht werden könne. „Wir“, so Reimers, „sind intern davon ausgegangen, dass er spätestens im Sommer den Landesvorsitz abgibt.“ Aber doch nicht die Führung der Bundes-SPD! „Damit“, sagte Babette Reimers traurig und in Anspielung auf eine mögliche Kanzlerkandidatur Platzecks, „dürfte er erst mal kein Hoffnungsträger für die Bundes-SPD mehr sein.“
Mit Kneifen vor der Verantwortung oder schlechten Umfragewerten für die SPD aber habe Platzecks Entscheidung nichts zu tun, da ist sich sein Ortsverein einig. Dass es einzig gesundheitliche Gründe waren, die ihn zum Rücktritt bewogen haben, nehmen sie ihm ab, hundertprozentig und ohne Groll oder vorwurfsvollen Unterton. „Die Politik frisst die Menschen mit Haut und Haaren“, sagt Babette Reimers, und Matthias Platzeck sei ein Mensch, der „nie Nein sagen kann“. Egal ob Ortsvereinssitzungen oder Schirmherrschaften kommunaler Straßenfeste – stets sei Platzeck, da war er längst Chef der ältesten deutschen Volkspartei, den Einladungen gefolgt, wo andere aus Zeitnot abgesagt hätten. Stets habe er Optimismus verbreitet, auch da, wo er sich eigentlich über die Partei oder ihren Koalitionspartner ärgerte. „Er ist“, sagt Dieter Jetschmanegg, „exzessiv, er macht Sachen ganz oder gar nicht.“ Seine einzige Möglichkeit, sich dem permanenten Gute-Laune-Stress zu entziehen, mutmaßen manche seiner Babelsberger Parteifreunde nun, sei „die Flucht in die Krankheit“. Eine Flucht, der sein Ortsverein gestern „Respekt“ zollte: „Matthias Platzeck hat nie an Ämtern geklebt, seine gestrige Entscheidung ist der Beweis dafür.“
HEIKE HAARHOFF