: Kreuzbergs Dum Dum Girls
TEEN-GRRRRLS Green Day statt Mathe: Der Verein Kasper Mucke setzt Punkrock spielen auf den Stundenplan
VON YIN TSAN
Und jetzt auf dem Stundenplan: Rock and Roll. Das ist kein Schreibfehler, kein Scherz und keine Metapher. Tatsächlich steht das Spielen in einer Band auf dem Stundenplan einiger Berliner Grundschüler. Die Mädchen und Jungs der freien Schule Kreuzberg lernen in Kooperation mit Kasper Mucke e. V., wie Musik gemacht, auf der Bühne gerockt und das Taktgefühl erprobt wird.
Der seit Anfang 2008 existierende Verein Kasper Mucke will Kinder und Jugendliche zur Musik bringen: Bandarbeit als musikpädagogisches Konzept. „Bei uns stehen weniger musikalisch-technische Fähigkeiten im Fokus, sondern eher die Kompetenzen wie Podiumsstressbewältigung, Toleranz und Respekt, Kreativität und das gemeinsame Erlebnis ‚Band‘ mit all seinen Facetten“, heißt es in der Selbstdarstellung von Kasper Mucke. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter betreuen zurzeit rund 40 Kinder zwischen 7 und 17 Jahren. „Der Anstoß ist die Musik, doch im Vordergrund steht die soziale Kompetenz“, stellt Oliver Miericke vom Vereinsvorstand heraus.
Eine der Bands bei Kasper Mucke ist Ladies First: Lina (12 Jahre), Tula (11), Natasha (9), Zoé (11), Salyma (8), Ana (9) und Makhosa (9). Sieben Mädchen im Musikunterricht. Während die restlichen 25 Schüler sich um und mit Xylophonschlägern kloppen, stellen sich sieben selbstbewusste Mädchen an Bass, Gitarre, Schlagzeug und Mikrofon. Dann heißt es: „Hi, wir sind Ladies First und unser erster Song ist ‚Boulevard of Broken Dreams‘.“ Mit Erzieher Lars Herrmann von Kasper Mucke, der Pädagoge auf dem Kinderbauernhof im Görlitzer Park ist, proben Ladies First für einen Auftritt. Im Repertoire stehen noch Coversongs, aber das wird sich bald ändern. Die Musikerinnen stehen mit ihren großen Instrumenten im Probenraum, und die Situation wirkt absurd, wenn „Boulevard of Broken Dreams“ von einer Mädchenstimme gesungen wird, während im Kopf des Zuhörers die Männer von Green Day das Original abspielen. Keine Punks, sondern junge Mädchen mit zarten Haarreifen im langen Haar, die die jungen Gesichter zieren, rocken das Lied.
In den Pausen zwischen den Liedern sind Ladies First einfach nur Mädchen zwischen acht und zwölf: Sie lachen, sind laut, rennen zwischen Boxen und Notenständer umher und sind auch mal unterschiedlicher Meinung. Wenn aber wieder der Ernst der Proben auf dem Plan steht, können sich die Mädchen auf ihr Instrument konzentrieren und auch sich gegenseitig ermahnen, leise zu sein.
Neben Ladies First lernen noch sieben weitere Bands bei Kasper Mucke, zusammen zu spielen. Weitere reine Mädchengruppen, Jungsbands und auch gemischte Gruppen. „Die Mädchen wollen eher singen und bei den Jungs steht das Schlagzeug ganz vorn“, erläutert Oliver Miericke die Präferenzen. Zum Konzept des Vereins gehört auch, dass die Kinder mehrere Instrumente spielen. Zum einen sollen sie gezielt verschiedene Instrumente kennen lernen und zum anderen hat die Mehrfachbesetzungen der Instrumente ein praktischen Grund. Auftritte sollen auch bei Krankheitsfällen möglich sein. Auftreten sollen die Bands „so schnell wie möglich“, was bei Kasper Mucke drei bis sechs Monate nach Bandgründung bedeuten soll. Nicht nur betreutes Proben, sondern auch die Vermittlung von Konzertauftritten und CD-Aufnahmen stehen auf dem Programm von Kasper Mucke. Der Zugang solle „niederschwellig“ sein, betonen Miericke und Herrmann immer wieder. Das Angebot von Kasper Mucke ist kostenlos, es kann jeder mitmachen.
Die Mädchen der Ladies First sind aufgeregt. Ein Auftritt steht an. Aufgehübscht treffen sich alle an der Bühne. Zwischen Backstage-Bionade und Soundcheck filmen die stolzen Eltern ihre kleinen Bühnenstars von morgen. Und die Bühnenstars selbst? Sie platzen fast vor Aufregung, tollen wie Flummis herum und spielen. Spielen ihre Instrumente für den Soundcheck ein oder auch einfach fangen. Tick! Du bist! „Ihr seid jetzt dran!“, heißt es irgendwann. Die Eltern der Mädchen scheinen zu wahren Groupies zu mutieren. Nach zwei Songs kreischen sie nach Zugabe. Die wird ihnen gewährt. Es lief gut für Ladies First.
Es läuft auch gut für Kasper Mucke, der Verein erhält Unterstützung vom Jugendamt in Form von Probenräumen. Die Kinder wiederum freuen sich über das Musikmachen. Derzeit finanziert sich der Verein allein durch Spenden. Nun stellt sich die Frage, ob Kasper Mucke Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche bietet, die genutzt und gefördert werden, ob Ladies First und die anderen Bands der Prototyp für musikalisches Lernen darstellen. Vielleicht macht das Konzept ja Schule.