Den Kunstraub bezeugen

KUNSTPOLITIK 1937 beschlagnahmten die Nazis in der Aktion „Entartete Kunst“ Werke der Moderne. Eine neue Online-Datenbank dokumentiert die Verluste

Im Mittelpunkt der Recherchen steht der Besitzerwechsel

Datenbanken oder computergestützte Verzeichnisse über NS-Raub- oder Beutekunst gehören mittlerweile zur Grundausstattung öffentlicher Museen, Galerien und Kulturstiftungen. Umso erstaunlicher ist es, dass ein Gleiches über eine der größten und wirkungsmächtigsten Beschlagnahmeaktionen von Kunstwerken durch die Nationalsozialisten noch nicht existierte. Eine Online-Datenbank über das Schicksal der 21.000 Kunstwerke, welche die Nazis für die Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 aus den Museen zusammenrafften, blieb bisher eine Leerstelle.

Am heutigen Mittwoch wird diese Lücke geschlossen. Unter der Internetadresse www.geschkult.fu-berlin.de dokumentiert das Forschungsprojekt „Entartete Kunst“ der Freien Universität Berlin seine Recherchen und Ergebnisse. Neben den Daten zu der Propagandaausstellung, die von 1937 bis 1941 durch das Reich tourte, werden die als „entartet“ diffamierten Werke und Künstler, die Rollen der Museen und der Kunsthändler ergründet. Es wird ein Stück deutsche Geschichte mit besonderem Gewicht gehoben.

Den Angriff auf die gesamte Moderne, darunter die Werke von Beckmann, Barlach oder Marc Chagall hatte Hitler 1937 selbst gegeben. Wer „Gesichter grün oder Wiesen rot“ malte, entsprach weder dem Kunstverständnis der Nazis noch ihrer Blut-und-Boden-Ideologie. Im gleichen Jahr beschlagnahmten sie aus den deutschen Museen ganze Sammlungsbestände moderner Kunst – Bilder, Plastiken, Grafiken –, die nach der Schau „entartete Kunst“ verkauft wurden, verschwanden und verschollen sind. Nach dem Krieg tauchten die Werke nur zum Teil und dann zumeist im Ausland wieder auf.

Seit 2002, sagten Klaus Krüger, Professor am Kunsthistorischen Institut an der FU, sowie Andreas Hüneke, Initiator des Projekts, geht die Forschungsstelle der Aufklärung dieses Kunstraubs, der Beschlagnahme und den Verkäufen nach. „Im Mittelpunkt der Recherchen steht dabei der Besitzerwechsel der beschlagnahmten Werke bis zum heutigen Standort“, so Hüneke, „das ist eine vielschichtige und auch politisch brisante Suche nach den verschollenen Kunstwerken.“ Denn ein Bild wie etwa das Porträt „Vater Hirsch“ (1909) von Oskar Kokoschka, das die SS in Halle kassiert hatte und das seit 1953 bis heute in den Museen Linz hängt, verweist auf die Ankaufspolitik der heutigen Eigentümer.

Zurückgegeben werden müssen die Kunstwerke an die einstigen Museumsstandorte nicht. Denn – das ist ein pikanter Punkt – das NS-Gesetz von 1938 zur entschädigungslosen Einziehung sogenannter entarteter Kunst gilt noch heute. Die öffentlichen Museen können sich nicht auf rassische oder politische Verfolgung berufen. „Sie haben sich ja selbst enteignet“, sagt Hüneke.

Noch ist die Datenbank nicht vollständig. 500 der 1.400 Künstler sind erfasst. Auch 121 Werke, die als verschollen galten, sind inventarisiert. Desiderate gibt es weiterhin. „Wir hoffen, dass über die Datenbank auch Informationen an uns zurückfließen.“ Das werden sie mit Sicherheit.

ROLF LAUTENSCHLÄGER