An der Heizung sparen, um die Wohnung zu bezahlen

MIETEN Problem klar, Lösung nicht in Sicht: Senator Michael Müller diskutiert mit Soziologe Andrej Holm

Mehr als die Hälfte ihrer Rente gebe sie für die Miete aus, sagt die Frau

An Fachbegriffen mangelt es nicht an diesem Abend: Wohnraum, Wohnkonsum, Wohnungsmarkt, Wohnungsmarktsituation, Wohnungsbau, Wohnlage, Wohnbestand, Wohnungsunternehmen. Und das sind nur die Wörter, die das „Wohnen“ schon in sich tragen. Für die beiden älteren Frauen aber, die am Ende aufstehen, sind das leere Worte. Für sie zählt, dass sie mehr als die Hälfte ihrer kleinen Rente für die Miete ausgeben und nicht wissen, wie sie die nächste Erhöhung verkraften sollen.

Mit „Penthouse oder Parkbank?“ ist die Diskussion überschrieben, mehr als 70 Leute sind am Dienstag in die Bibliothek im Luisenbad in Wedding gekommen, es gibt gar nicht genügend Stühle im Puttensaal mit seiner prunkvollen Stuckdecke. Doch der Titel bleibt das Griffigste bei diesem Thema, das die Stadt so viel bewegt wie wohl kein anderes.

Der Senator für Stadtentwicklung Michael Müller (SPD) sitzt vorn auf dem Podium, Vertreter vom Mieterbund und dem Verband, der vor allem die städtischen Wohnungsgesellschaften vertritt, der Stadtsoziologe Andrej Holm. Sie sind sich im Großen und Ganzen einig, was das Problem angeht: Die Mieten steigen immer weiter, vor allem bei Neuvermietungen. Eine bezahlbare Wohnung finden viele nur weit weg von ihrem Kiez – wenn überhaupt. Und immer mehr neue Bewohner ziehen von außerhalb zu. Nur: Was ist die Lösung?

„Was wir auf Berliner Ebene machen konnten, haben wir gemacht“, sagt Stadtentwicklungssenator Müller. Und zählt auf: das Zweckentfremdungsverbot für Ferienwohnungen, das auf den Weg gebracht wurde. Den Verkauf städtischer Grundstücke nach Konzeptverfahren statt Höchstgebot. Die geplante neue Wohnungsbauförderung. Die Verpflichtung für Wohnungsunternehmen, die er umsetzen will, einen Teil der Wohnungen günstig anzubieten. Die Neubaupläne, auch auf dem Tempelhofer Feld. Letzteres Thema würde viel Stoff für Streit bergen – denn parallel geht eine Unterschriftenliste für das Volksbegehren „100% Tempelhofer Feld“ durch die Zuschauerreihen. Diskutiert wird darüber nicht.

An Details hat Andrej Holm dann schon etwas zu bemängeln, der Stadtsoziologe der Humboldt-Universität, der als kritischer Beobachter der Gentrifizierung bekannt geworden ist. Man dürfe sich bei Mietpreisen nicht hinter Durchschnittszahlen verstecken, sagt er. Ohnehin könne „Neubau nicht das Problem der steigenden Mieten lösen.“ Denn momentan sei es für Investoren viel attraktiver, Wohnungen aufzukaufen und auf Mieterhöhungen zu spekulieren, als neue zu bauen. Die geplante Wohnungsbauförderung, 64 Millionen Euro im Jahr: viel zu wenig. „Wohnungspolitik ist wichtiger als Haushaltspolitik“, so sieht Holm es.

Fast zwei Stunden geht die Diskussion schon, da wird das Publikum unruhig. Die Leute auf dem Podium sollen jetzt zuhören, fordert jemand. Eine Frau steht auf, sie spricht erst zögerlich, dann mit fester Stimme. Seit 2005 sei ihre Monatsmiete jährlich um 11 bis 15 Euro pro Jahr gestiegen, und gerade um 33 Euro. Mehr als die Hälfte ihrer Rente gebe sie für die Miete aus. „Ich finde, da muss was passieren.“

Eine andere Rentnerin pflichtet ihr bei. 450 Euro Miete zahle sie für ihre Zwei-Zimmer-Wohnung, bei 798 Euro Rente. Schon vor vier Jahren habe sie eine billigere Wohnung gesucht – erfolglos. Jetzt spare sie bei der Heizung, Pfandflaschen sammle sie auch schon. Was, bitte schön, solle sie jetzt denn noch tun?

SEBASTIAN ERB

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