KLAUS-HELGE DONATH ÜBER RUSSLANDS REAKTION AUF GREENPEACE : Paranoia im Kreml
Wieder ist es ein drakonisches Strafmaß, mit dem Russland droht, diesmal den Greenpeace-Aktivisten, die in der vergangenen Woche mit dem Versuch scheiterten, Gazproms Bohrinsel Prirazlomnaya in der Barentssee zu kapern. Auf bis zu 15 Jahre Haft hätten sich die Inhaftierten einzustellen, teilte die Ermittlungsbehörde mit. Greenpeace hat dabei weder staatliche Hoheitsrechte verletzt noch Gewalt angewendet und erst recht nichts gestohlen. Der Chef des Präsidialamtes, Sergei Iwanow, behauptet dennoch, die Umweltaktivisten seien eine nördliche Variante somalischer Piraterie.
Nein, Russland scheut sich nicht vor absurden Behauptungen. Differenzierungen sind nur erlaubt, wenn sie ausdrücklich den Interessen des Kreml dienen. Die Absurdität hat dabei Methode: Durch Überzeichnungen stimmt Moskau die internationale Gemeinschaft darauf ein, russischem Verlangen nachzugeben. Ein System, das meist Erfolg hat. Die Markierungen bleiben der Welt im Gedächtnis. Auch wenn sich der Kreml im nächsten Schritt dann als vernunft- und gesprächsbegabter Verhandlungspartner präsentiert.
Das politische System Russlands beruht nun einmal auf Rohstoffausbeutung, der autoritäre Zentralismus ist das Resultat dieses extraktiven Mechanismus. Moskau begehrt von der Region in der Barentssee dabei mehr, als es der Rahmen einer Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) vorsieht, und reagiert auf die Umweltschützer, als habe es die staatlichen Hoheitsrechte im Stillen schon für sich erweitert. Dringt hier nun eine Nichtregierungsorganisation ein, begreift sie der paranoide Kreml als aggressive Vorhut westlicher Interessen: Wer eine Bohrinsel kapert, der schickt sich aber nicht nur an, die zentrale russische Lebensader zu kappen. Er muss es aufs System abgesehen haben.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 8